Toedlicher Hinterhalt
hartnäckig all die alten Bezeichnungen für ihn – wie Störenfried, Nichtsnutz oder »das wilde Paoletti-Balg«.
Nein, so sehr er Joes Gesellschaft auch vermisste, ein Wochenende in Baldwin’s Bridge würde definitiv genügen. Aber vielleicht gelang es ihm ja, Joe dazu zu überreden, mit ihm für eine Woche oder auch zwei auf die Bermudas zu fliegen. Was eine feine Sache wäre. Und falls Joe darauf bestehen sollte, würde Tom sogar Charles Ashton mit auf die Reise nehmen.
Mr Ashton war Joes verschrobener bester Freund – oder aber sein Erzfeind, das hing ganz von der Laune der beiden alten Männer ab. Der Kerl konnte es wahrlich mit Ebenezer Scrooge und dem Grinch aufnehmen, also durchaus als reizendes, alkoholgeschwängertes Gesamtpaket bezeichnet werden. Doch Joe kannte ihn schon seit dem Zweiten Weltkrieg. Hinter seiner Loyalität zu dem alten Grantler steckte eine lange Geschichte, und das respektierte Tom. Mal abgesehen davon konnte ein Mann, der jemanden wie Kelly Ashton gezeugt hatte, so schlecht nicht sein.
Kelly Ashton … Jedes Mal, wenn er nach Baldwin’s Bridge zurückkehrte, musste er an sie denken. Aber natürlich spukte sie ihm auch im Kopf herum, wenn er nicht dort war. Wenn man bedachte, dass er sie vor sechzehn Jahren zuletzt gesehen hatte, drehten sich seine Gedanken genau genommen viel zu oft um sie.
Wie hoch standen wohl die Chancen, dass sie ihren Vater ausgerechnet in dieser Woche besuchen würde, während sich auch Tom in der Stadt aufhielt?
Sie strebten gegen null. Kelly war inzwischen eine viel beschäftigte Ärztin mit einem ausgefüllten Leben, da saß sie bestimmt nicht herum und wartete darauf, dass Tom nach Hause kam.
Und sechzehn Jahre hätten definitiv auch für ihn genug Zeit sein sollen, um es sich abzugewöhnen, über diese Frau nachzudenken. Vor allem wenn man bedachte, dass sie verheiratet gewesen war, hatte sie es für ihren Teil offensichtlich getan.
Inzwischen war sie allerdings wieder geschieden.
Was genau genommen aber rein gar nichts zu bedeuten hatte. Soweit er wusste, war sie bereits wieder unter der Haube. Er musste also aufhören, an sie zu denken. Sie würde nicht da sein.
Tom schlängelte sich durch den vollen Flughafen zum Überstand, von dem aus der Shuttlebus zur U-Bahn – in Boston »the T« genannt – abfuhr. Er ging an der Gepäckförderanlage vorbei, schob sich durch das Gewusel von Menschen, die nun, da sich das Band in Bewegung gesetzt hatte, leicht darauf zu dräng-
ten.
Die Menge bestand vornehmlich aus urlaubenden Familien und älteren Reisenden, die auf ihre Koffer und Taschen warteten. Die Geschäftsleute hatten nur Handgepäck dabei und den Terminal längst verlassen.
Ein einzelner Mann in einem dunklen Anzug stach jedoch aus der Masse heraus. Er war in etwa so groß wie Tom und hatte hellbraunes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar. Als er sich hinunterbeugte, um seine Tasche vom Gepäckband zu nehmen, und sie sich dann mit einer merkwürdigen Drehbewegung über die Schulter hievte, hielt Tom abrupt inne.
Nie im Leben!
War es denn die Möglichkeit, dass Tom von allen Orten in der Welt ausgerechnet am Logan Airport jenem Mann begegnete, den man als »den Kaufmann« kannte?
Sein Haar sah zu hell aus, allerdings ließ sich so etwas auch ganz leicht ändern.
Außerdem schien an seinem Gesicht irgendetwas verändert zu sein – wenngleich es insgesamt noch die gleichen Konturen besaß. Seine Nase und die Wangenknochen wirkten weicher, weniger prominent, und sein Kinn nicht ganz so markant, wie Tom es in Erinnerung hatte. Konnte dies das Werk eines Schönheitschirurgen sein? War das überhaupt möglich?
Tom ging näher an den Mann heran, um eine bessere Sicht auf ihn zu bekommen.
Seine Augen … Sie hatten eine andere Farbe. Es war ein trüber Ton aus Blau und Braun – jene unübliche Farbmischung, die braunäugige Menschen hinbekamen, indem sie sich blau getönte Kontaktlinsen zulegten. Aber die Farbe spielte keine Rolle. Tom hätte diese Augen überall wiedererkannt. Und dennoch, er hatte nur einen kurzen Blick erhascht.
Gott, war das möglich?
Die Tasche noch immer über der Schulter tragend, bewegte sich der Mann auf den Ausgang zu. Tom folgte ihm langsamer, denn die Menschenmenge erschwerte ihm das Durchkommen.
Im Gehen bewegte sich der Kerl anders als der Kaufmann. Aber zweifelsohne würde ein Mann, nach dem eine internationale Fahndung lief, daran arbeiten, ebenso wie das Gesicht und die Haarfarbe, seinen Gang zu
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