Tödliches Experiment: Thriller (German Edition)
Ärzte wie John, andere Studenten knapp vor dem Abschluss wie Susan. Drei von Johns Studienkollegen von der Harvard Medical School waren ebenfalls aufgetaucht. Gemeinsam mit John wollten sie ein Seminar über Gehirnforschung an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore besuchen.
Die stickige Septemberhitze lag noch immer über Washington. Die Leute saßen auf den Stufen der Hauseingänge oder hielten sich in den Hinterhöfen auf. John hatte Percival, seinen außerordentlich großen, außerordentlich freundlichen Hund, in der Hundehütte angekettet, und Percy lag den ganzen Abend da drinnen und keuchte. Nur sein riesiger schwarzer Schädel und die traurigen Augen waren in der Öffnung sichtbar.
Es war jedoch nur scheinbar alles in Ordnung. Die Gastgeber hatten eine Stunde vor der Party einen Riesenkrach gehabt und sprachen nicht miteinander. Ursache war ein unglückseliger Artikel über Gehirnforschung in einer Zeitschrift gewesen. An sich eine recht harmlose Angelegenheit; was der Autor geschrieben hatte, wussten die Fachleute nur zu gut, die Öffentlichkeit aber hatte kaum eine Ahnung davon. Er verglich das menschliche Gehirn mit einem großen, unerforschten Meer und warfdie Frage nach seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit auf – hatte die Menschheit doch schon mit nur fünf bis zehn Prozent der Gehirnzellen den elektrischen Strom und das Atom nutzbar gemacht, die Herrschaft über Meer und Luft errungen und komplexe Rechts- und Sozialsysteme geschaffen, ebenso wie Kunst, Musik und Literatur von ehrfurchtgebietender Schönheit.
In einer eher persönlichen Art aber hatte er etwas geschrieben, das für Susan schmeichelhaft war, allerdings auf Johns Kosten ging. Unter einem aufreizenden Foto von ihr – von John gab es kein Bild – hatte er vermerkt: „Das außergewöhnliche Genie Dr. Flemmings wird geleitet von Susan McCullough, einer Erscheinung von seltener Schönheit unter den für gewöhnlich langweiligen Wissenschaftlern. Sie bringt Ordnung in das Labor, in dem sonst das Chaos herrscht.“
John war stolz auf das Labor und auf die Art, wie er es führte, und obwohl er es nicht zugegeben hatte, wusste Susan, dass ihn diese Bemerkung wirklich geärgert hatte. Er ließ es an ihr aus und beschuldigte sie einen Versuch verpatzt zu haben. Sie wehrte sich – es sei nicht ihre Schuld gewesen. Eine achtzigstündige harte Arbeitswoche während einer Hitzeperiode verlangte ihren Tribut. Als die Gäste eintrafen, sprachen die beiden nicht mehr miteinander; Ärger war vorprogrammiert.
Zum großen Krach kam es dann um etwa halb elf. Susan hatte eben eine große Karaffe eisgekühlten Chablis aus der Küche geholt und sah, dass John über sein Lieblingsthema dozierte – Medizin und Wissenschaft, die viel zu oft zum Selbstzweck würden und nicht mehr dem Menschen dienten. Das Wort, das am häufigsten im medizinischen Wörterbuch vergessen würde, sei „Mensch“, hatte er immer gesagt. Es machte ihn wütend,wenn medizinische Neuerungen in viel Gerede gehüllt und geheim gehalten wurden.
Er hatte Michael Burgess, einen der Gäste, aufs Korn genommen. Michael war ein alter Kollege, Neurochirurg, der für die Borg-Harrison-Stiftung im Bereich Gehirnforschung arbeitete. John hackte auf Michael herum wegen dessen „verdammter Geheimnistuerei“. Michael war schon in der High School ein Wunderkind in Biologie gewesen und hatte an der Universität und während seiner Facharztausbildung viele brillante Ideen gehabt, dann aber hatte er John zutiefst enttäuscht, weil er sich seit beinahe fünf Jahren hinter einer Wand voller Geheimnisse verschanzt hatte.
„Ich habe keine Ahnung, was du überhaupt tust, Michael“, hörte Susan John sagen. „Was soll das denn für einen Sinn haben? Oder wird irgendwer so freundlich sein und es uns nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Frist von neunundneunzig Jahren erzählen?“
Sie blieb stehen. John war vom liebenswerten Exzentriker zum Eiferer geworden. Er gestikulierte wild mit den Armen, seine Stimme war zu laut. Susan fragte sich, wie viel er wohl schon getrunken hatte.
„Geheimnisse sind wie Lügen“, fuhr er fort. „Und das weißt du auch. Man beginnt mit ein paar Notlügen und schließlich mordet man die Wahrheit komplett. Und du, mein Lieber, tust wahrscheinlich etwas, womit sich die Medizin überhaupt nicht beschäftigen sollte. Wenn Borg-Harrison deine Arbeit nicht an die Öffentlichkeit bringen kann, dann ist das entweder irgendein verdammter, gegen die Menschheit
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