Tödliches Farbenspiel
Greg Marcus zu Beginn unserer
Bekanntschaft sehen wollte, bei ihm keine Geltung hatte. Er konnte hart sein,
gewiß, er übte eine Disziplin, die sich in seinen Handlungen und seiner Rede
ausdrückte, aber er war auch ein sanfter und musischer Mensch, der die Malerei
und die Musik liebte und mit Vergnügen im Garten seines Hauses in Twin Peaks
herumpusselte. Er konnte genauso in Rage geraten wie ich, aber er besaß einen
Sinn für das Absurde, der ihn vor exzessiven Ausbrüchen bewahrte. Ich hatte
langsam angefangen, ihn zu mögen — sehr. Und er gefiel mir auch rein äußerlich —
sein langer, schlanker Körper, das Lächeln, das aus jedem der winzigen Fältchen
um seine Augen strahlte, das wuschelige blonde Haar.
Aber mindestens einmal in der Woche
konnte er mich echt zur Weißglut bringen.
Die Stenografin kam, Greg drehte sich
wieder um, zündete sich eine Zigarette an und begann mit dem formellen Verhör,
bei dem es um die gleichen Fragen ging, die wir bereits am Tatort besprochen
hatten.
»Kommen wir jetzt zur Vorgeschichte«,
sagte er schließlich. »Sie sind, wie Sie berichteten, früher schon einmal für
den Ermordeten tätig gewesen.«
»Ja. Das muß —« Ich machte eine Pause.
»Es war im Juli vor einem Jahr.«
»Berichten Sie.«
»Jake Kauffmann hatte, wie ich schon
sagte, einen Malerbetrieb«, begann ich. »In den letzten Jahren hatte er sich
auf künstlerische Anstriche spezialisiert; aber davor war er ein ganz
gewöhnlicher Anstreicher gewesen, der seine Aufträge von großen Baufirmen
erhielt. Er arbeitete an Großprojekten wie den Reihenhaussiedlungen, die in den
fünfziger Jahren gebaut wurden, mit.« Ich hielt inne. War es möglich, daß Jake
für David Wintringhams Vater gearbeitet hatte? Lag dort vielleicht die
Erklärung dafür, warum er in dem alten Wohnhaus der Familie Wintringham den Tod
gefunden hatte?
Greg kniff die Augen zusammen. »Was
ist?«
»Ach, nichts.« Ich schüttelte den Kopf.
Greg hatte mich schon früher beschuldigt, mich allzusehr auf den Zufall zu
verlassen — oder die »weibliche Intuition«, wie er es spöttisch nannte. »Ich
habe Schwierigkeiten mit den Daten«, erklärte ich ausweichend. »Es gab eine
Bewegung, die für »mehr Farbe in den Städtern plädierte. Haben Sie von der mal
gehört?«
»Nein.«
»Sie entstand in den sechziger Jahren,
klein und bescheiden zunächst, wuchs dann aber in der Zeit der sogenannten
Blumenkinder ganz rapide. Im wesentlichen ging es darum, alte Häuser, die bis
dahin vernachlässigt worden waren, neu herzurichten. Das Besondere war, daß man
die Fassaden nicht neutral oder einfarbig anstrich, sondern bunt. In der
Steiner Street, nicht weit vom Tatort, ist ein Haus, an dem man ziemlich klar
sehen kann, worum es in dieser Bewegung geht. Die Leute nennen es das
»psychedelische Haus‹, und so sieht es auch aus. Es leuchtet in sämtlichen
Farben des Regenbogens, und man hat es damals mit kleinen Pinseln angestrichen,
wie die Kunstmaler sie —«
»Ich kenne das Haus. Aber was hat das
mit Kauffmanns Ermordung zu tun? Die meisten viktorianischen Häuser, die
saniert wurden, sind bunt gestrichen.«
»Heute ja, aber damals war das nicht
so. Die Nachbarn waren hell entsetzt über das bunte Farbenspiel. Für sie war
diese Farbenpracht mit Hippies und Drogen gleichzusetzen. Aber allmählich wurde
der neue Stil akzeptiert, wenn auch hin und wieder nur gegen heftige
Widerstände.«
»Und Jake Kauffmann?« fragte Greg mit
leichter Ungeduld. »Er gehörte zu den ersten, die mit Farben experimentierten.
Zuerst an seinem eigenen Haus, dann an anderen Häusern. Er setzte sich vorher
mit den Eigentümern zusammen und entwarf dann für jedes einzelne Haus ein
detailliertes Farbkonzept. Seine Arbeit war bald so gefragt, daß bereits eine
ellenlange Warteliste existierte.«
»Und wo kommen Sie nun ins Bild?«
Ich wußte, daß Greg meine etwas
weitschweifige Berichterstattung auf die Nerven ging, deshalb bemühte ich mich
um Kürze.
»Es gibt da eine Frau, sie heißt
Eleanor van Dyne, so eine richtige Kämpfernatur, die eine Organisation namens
Salvation Incorporated leitet. Das Ziel dieser Organisation ist die Erhaltung
historischer Bauten.«
Ȁhnlich wie die Stiftung zur Erhaltung
von San Franciscos architektonischem Erbe?«
»Genau. Und wie die
Denkmalschutzinitiative oder die Viktorianische Vereinigung.«
»Du meine Güte, und wie der Ausschuß
zur Rettung der Pappfelsen. Man stelle sich das vor!« Greg bezog sich auf einen
Felsblock
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