Tödliches Rätsel
Besucher durch einen angenehm duftenden Korridor zu einer blank polierten Eichenholztreppe. In einer kleinen Nische im oberen Stockwerk schob sie den Schlüssel in ein Türschloß und stieß die Tür auf. Sir John trat ein, gefolgt von Alison und Athelstan.
Es war dunkel in der Kammer, und so öffnete die Magd die Fensterläden. Cranston stieß einen Pfiff aus, und Athelstan tat einen erstaunten Ausruf. Pesleps Unterkunft war keine kärgliche Kammer. Es waren zwei Zimmer, eine kleine Stube und ein Schlafgemach. Als die Magd Kerzen anzündete und weitere Fenster öffnete, sah Athelstan, daß Peslep ein höchst luxuriöses Leben geführt hatte. Wandbehänge aus Damast, eine Tagesdecke aus Samtbrokat auf dem Bett, Tische, Stühle, Schemel und Truhen allenthalben. An der Wand gegenüber sah er zwei Borde. Auf einem standen Töpfe aus Silber und Zinn, auf dem anderen drei Bücher und eine Sammlung gerollter Manuskripte. An der Wand am Bett hing ein kleiner Teppich mit einer Szene aus dem Alten Testament. Delilah verführt Samson. Delilah war beinahe unbekleidet und stand in entzückendster Pose da.
»Auch der Teufel kann die Schrift zitieren«, raunte Cranston Athelstan ins Ohr.
Die junge Magd eilte hastig hinaus.
»Komm zurück!« rief Athelstan.
Das Mädchen gehorchte. Athelstan deutete auf den Schlüssel. »Du weißt, daß Master Peslep tot ist?«
Sie starrte ihn verständnislos an.
»Wir haben bei seiner Leiche keinen Schlüssel gefunden.«
»Oh«, sagte die Magd, »den hat er mir immer gegeben, Sir, damit ich seine Kammer saubermachen kann.«
»Auch heute morgen?«
»Ja.«
»Und es war niemand hier, nachdem er gegangen war?«
»Nein, Sir, niemand«, sagte die Magd. »Aber ich habe Master Peslep die Straße hinuntergehen sehen. Ich fegte gerade die Vordertreppe, und dabei bemerkte ich jemanden, einen jungen Mann in einem Kapuzenmantel mit Sporen an den Stiefeln. Er folgte Master Peslep, als hätte er auf ihn gewartet.«
»Würdest du ihn wiedererkennen?« fragte Cranston.
»Oh nein, Sir, ich habe ihn ja nur kurz gesehen. Dann war er gleich weg, und Master Peslep auch.«
Die Magd ging, und sie wandten sich wieder der Kammer zu. Alison machte ein gelangweiltes Gesicht. Sie saß auf einem gesteppten Kissen und tappte mit dem Fuß auf den Boden, als könne sie es nicht erwarten, von hier fortzukommen. Endlich hatte Athelstan den Schreibkasten des toten Schreibers gefunden. Er war verschlossen, aber Cranston bog die Schließe mit seinem Dolch auf und kippte den Inhalt auf den Tisch. Das Auffallendste unter den Sachen war eine Pergamentrolle mit einer Liste von Rätseln. Athelstan nahm sie in Augenschein.
»Diese Schreiber sind wirklich vernarrt in ihre Rätsel«, stellte er fest.
»Das ist mehr als nur ein Spiel«, sagte Alison. »Mein Bruder sprach dauernd davon und bat mich immer, neue für ihn zu suchen.«
»Und das wußte der Mörder«, sagte Athelstan. Er griff nach einer kleineren Rolle, öffnete sie und stieß einen leisen Pfiff aus. »Sir John, seht Euch das an.«
Cranston nahm das Pergament und betrachtete die Zahlenkolonnen.
»Von Orifab, dem Goldschmied in der Cheapside«, murmelte er. Er warf einen Blick auf die Summe am Fuße der Seite, neben dem etwa zwei Wochen alten Datum. »Master Peslep war ein sehr reicher Mann«, bemerkte er. »So reich, daß ich mich frage, wieso er noch als Kanzleischreiber arbeitete.«
»Viele von denen sind aus reichen Familien«, sagte Alison. Sie kam herüber und spähte Sir John über die Schulter. »Die jüngeren Söhne des Adels«, erklärte sie. »Die älteren Brüder erbten entweder die Ländereien oder wurden Geistliche.«
Cranston warf die Rolle wieder in den Kasten. »Ich werde meine Büttel herkommen und die Kammern versiegeln lassen«, verkündete er. »Gibt es sonst noch etwas?«
Athelstan schüttelte den Kopf. »Persönliche Gegenstände, aber nichts Bemerkenswertes.«
Sie verließen die Kammer. Cranston schloß ab und teilte der Magd mit, daß er den Schlüssel behalten werde. Dann gingen sie wieder hinaus auf die Straße.
Alison wurde schweigsam und hielt sich zurück, als Cranston und Athelstan sich durch das vormittägliche Treiben einen Weg zum Stadtgraben suchten.
Schließlich erreichten sie das Haus, in dem Chapler gewohnt hatte: ein schäbiges, zweigeschossiges Mietshaus, das aussah, als sei es mit Gewalt zwischen die Bierschenke auf der einen und die Weinhandlung auf der anderen Seite gequetscht worden. Die Balken waren
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