Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
Untergeschoß, wo der menschliche Fleischberg im goldenen Trainingsanzug von vier Polizisten gerade nach oben gebracht wurde, um ins Präsidium verfrachtet zu werden.
Thanatografie: Der Schnitt
Dieser Tod ist erst der Anfang, irritieren mich die Stimmen, doch noch will ich davon nichts wissen. Dieser Tod ist erst der Anfang, bleiben sie hartnäckig und mein Widerstand schwindet. Dieser Tod ist erst der Anfang, flüstern sie unablässig, und jetzt muss ich ihnen Recht geben. Dieser Tod ist erst der Anfang, sage ich synchron mit ihnen und nicke gehorsam. Dieser Tod ist erst der Anfang, das glaube ich selbst, wenn ich an das Glücksgefühl denke, das ich verspürt habe. Dieser Tod ist erst der Anfang, denn die Befriedigung, die das Aufschlitzen bereitet, muss wiederholt werden.
Wiederholt werden müssen die schmatzenden Geräusche, wenn mein Werkzeug die Haut zerteilt, wiederholt werden muss das immer tiefer Hineinschneiden in das Fleisch, wiederholt werden muss die Kraftanstrengung, wenn sich Muskeln, Sehnen und Nerven dem Zerteilen widersetzen, wiederholt werden muss die Überraschung, wenn plötzlich ein dicker Blutstrahl aus der Wunde spritzt, wiederholt werden muss das unkontrollierte Zittern von Armen und Beinen, wenn das Opfer das fahle Licht am anderen Ufer sieht, wiederholt werden muss das Töten!
Alles muss wiederholt werden, auch die Geschichte.
Richtig bewusst wird mir Royal zum ersten Mal, als sich Mutter an dem silbrig glänzenden, scharfkantigen Deckel in den Finger schneidet und das Blut auf den Küchenboden tropft. Umständlich hält sie den Zeigefinger in die Höhe, so als wolle sie mir drohen, aber in Wirklichkeit versucht sie nur das Blut zu stillen, das aus dem tiefen Schnitt hervorquillt. Fasziniert betrachte ich die Wunde, kann meinen Blick einfach nicht losreißen. Von einer Sekunde auf die andere ist die Haut durchtrennt, teilen sich die tiefer liegenden Schichten, wird das Fleisch aufgeschnitten, Sehnen verletzt – bis auf den Knochen. Nur ein wenig stärker zugedrückt und der Finger ist glatt durchgeschnitten. Merkwürdige Gedanken für einen Jugendlichen, das stimmt. Aber es ist auch ein merkwürdiges Jahr, eine eigenartige Zeit, die aus Freunden plötzlich Feinde macht, in der politische Morde an der Tagesordnung sind und immer wieder Berichte über Plünderungen durch die Presse geistern. Da ist es nicht verwunderlich, dass Kinder und Jugendliche diese düsteren Gedanken im Kopf haben.
Faszinierend, dieser Deckel, der edel glänzende Stahl, oben der schwarze Knopf mit dem geschwungenen R für Royal, natürlich in Gold. Wie ist es möglich, dass der Deckel eines Kochtopfes, eigentlich ein harmloses, vollkommen ungefährliches Produkt, eine derartige Verletzung verursachen kann? Der Rand des Deckels ist scharfkantig, beinahe so scharf wie eine Rasierklinge – das kommt von dem extrem dünnen Stahl, der einerseits den Deckel leicht macht, andererseits aber die Verletzungsgefahr erhöht. Eindeutig ein Produktmangel, denke ich jetzt, ein Mangel, der für mich allerdings jetzt ein Vorteil ist.
Ich helfe Mutter, die Wunde zu verbinden, es ist wirklich ein sehr tiefer Schnitt, tatsächlich wie von einem Rasiermesser. Im Grunde gehört die Wunde genäht, ein Arzt muss her, nur – es gibt in unserem Dorf keinen Arzt mehr, überhaupt ist seit Ausbruch der bewaffneteten Auseinandersetzungen die Infrastruktur völlig zusammengebrochen. Anscheinend befindet sich auch das Wetter im Ausnahmezustand mit den Menschen – die glühende Sonne, der heiße Wind, der den Staub aufwirbelt, sodass Häuser, Hütten und Menschen bald von einer grauen Staubschicht überzogen sind.
Später an diesem Tag kriege ich irgendwie mit, dass Mutter sich bei Vater über die Qualität beschwert und das Ganze dann in einen heftigen Streit ausartet, Türen knallen, Mutter weint wie so oft, verflucht ihr Schicksal, Vater tobt, schlägt mit den Fäusten auf den Tisch – jetzt weiß ich, dass er so ein Ventil für seine Ängste sucht. In dieser lähmenden Hitze aber will er das nicht wahrhaben, so wie er auch unseren Zustand nicht wahrhaben will – noch ist er stark und nichts kann ihn aus der Bahn werfen, er hält die Familie zusammen und beschützt sie – und ich glaube ihm. Doch der Glaube ist ohne Zukunft.
13. Linz: Die sechste Nacht
Erst kurz vor Mitternacht hatte sich Tony Braun von dem Chaos am Bahnhof loseisen können. Es gab eine Menge zu tun, Verletzte mussten versorgt, Zeugen befragt und der
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