Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
kapiert! Ich bin ein Prolet ohne Kinderstube, danke!“
Im Live-Studio hörte er über Kopfhörer die vertraute Nighthawk-Signation, der Webmaster hinter der Glasscheibe, ein Punk mit neongrünen Haaren und handtellergroßen Ohrringen, hob den Daumen. Tony Braun war On Air.
„Hallo Leute! Jetzt gibt’s wieder Talk ohne Limits mit Nighthawk. Was so viel heißt wie, ihr könnt eure ganze Scheiße bei mir abladen und ich höre euch zu! Erwartet aber bloß keine klugen Sprüche und ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage: Die ganze Scheiße rauskotzen ist besser als daran zu ersticken!“
Seine Stimme hallte durch den Äther und die wenigen, die diesen obskuren Radiosender hörten, waren beeindruckt von der direkten Art, in der er redete und dazwischen laut aus einer Bierdose schlürfte.
Während aus den Lautsprechern die schläfrige Nouvelle-Vague-Version des New-Wave-Hits „Eisbär“ in die Endrunde kam und der Refrain „Eisbären müssen nie weinen“ in der Tiefe der Nacht verebbte, waren bereits einige Blogger online, die sich ihre Erlebnisse mit Alkohol-Blackouts und Drogenexzessen von der Seele tippten und denen Braun auf seine ziemlich direkte Weise antwortete.
Dann war auch ein besorgter Vater in der Leitung, der nicht wusste, wie er mit seinem dreizehnjährigen Sprössling umgehen sollte, der ständig in den Elektromärkten PC-Spiele klaute und bei der Polizei schon Stammgast war.
„Was machst du eigentlich so mit dem Jungen?“, unterbrach Braun den Anrufer, dessen Geschichte langsam ausuferte.
„Wie? Ich kaufe ihm die neuesten Spiele, damit er nicht stehlen muss! Der Junge lebt seit meiner Scheidung bei mir und braucht Beschäftigung am Nachmittag!“ Der Anrufer bekam plötzlich einen Rechtfertigungstonfall.
„Gehst du mit ihm zum Fußball? Oder ins Kino? Machst du irgendetwas selbst mit dem Jungen?“ Braun nahm einen kräftigen Schluck Bier, schnalzte mit der Zunge. „Ich sage dir, der Junge will Zuwendung! Ich sage das aus dem Bauch heraus! Das hat nichts mit Psychologie zu tun, das ist bloß meine Intuition! Unternimm was mit deinem Sohn! Ich habe es vermasselt, aber für dich ist es noch nicht zu spät!“
So ging es eine ganze Weile hin und her, bis zum nächsten Anrufer.
„Ich habe meiner Freundin K.o.-Tropfen gegeben, damit sie endlich mit mir ins Bett geht! War total geil, aber sie kann sich nicht daran erinnern!“ Der Typ kam flapsig über den Äther und Braun trank schnell einen Schluck Bier, um nicht zu explodieren.
„Ich meine, so einen tollen Fick hat sie doch noch nie erlebt, und sie kann sich nicht erinnern!“
„Hör mal zu, du Arschloch!“ Braun knallte die Bierdose so fest auf den Tisch, dass ein blechernes Feedback durch das Studio jaulte. „Du bist ein Stück Scheiße, das sowieso keinen hochkriegt, wenn es ehrlich zugeht. Und jetzt verpiss dich!“ Angewidert warf er den Anrufer aus der Leitung, spielte einen beruhigenden Song, bis der Webmaster das Zeichen für einen weiteren Anrufer gab.
Ein ohrenbetäubendes Pfeifen erfüllte den Raum und Braun zuckte schmerzhaft zusammen.
„Du musst die Lautstärke deines Radios zurückdrehen, sonst erzeugst du dieses Feedback.“
„Oh, verstehe, tut mir leid.“ Eine Frauenstimme, rauchig und tief.
„Wie ist das, wenn man seine Familie liebt und hasst?“
„Kapiere ich nicht! Erzähl mir mehr“, forderte sie Braun auf und bedeutete Giorgio, ihm noch eine Dose Bier zu bringen.
„Ich habe eine Familie, die ich verabscheue, manchmal sogar hasse. Auf der anderen Seite fühle ich mich nur bei meiner Familie sicher. Die Familie ist mein Selbstbewusstsein!“
Die namenlose Frauenstimme von draußen sprach langsam und schleppend, machte zwischen den einzelnen Worten lange Pausen und schien unendlich müde zu sein.
„Glauben Sie auch, dass man sich freuen kann, wenn jemand aus der Familie stirbt? Oder dass man das Böse in seiner Familie lieben kann?“
„Zunächst einmal ist es doch toll, überhaupt eine Familie zu haben.“
Unruhig rutschte Braun auf seinem Stuhl hin und her. Eine anonyme Frauenstimme aus irgendeinem versteckten Winkel der Stadt, ein schwarzer Wohnblock, nur ein Fenster leuchtet in der Dunkelheit, eine einsame Person an einem Tisch – diese Bilder gingen ihm sekundenschnell durch seinen Kopf.
„Für mich ist die Familie ein Fluch! Man denkt, seine Familie zu lieben und hasst sie gleichzeitig. Tränen der Liebe werden zu Tränen des Hasses, werden zu Tränen des Todes und wieder zu Tränen
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