Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
Besucherströme erinnerten. Auf der Rückseite angekommen, blickte man zunächst auf ein teilweise brachliegendes Gelände aus Wiesen, Müll und vereinzelten Schrebergartenhütten, dominiert von der hinteren Fassade des Schlachthofes. Waagrechte Eisenträger mit darüberliegenden Fensterreihen unterteilten die rote Ziegelmauer. Neben dem Rolltor, das als Eingang diente, war eine große Tafel an die Wand geschraubt, die mit unzähligen Logos vollgepflastert war und wie ein Pop-Art-Gemälde wirkte.
Da der Schlachthof schon längst nicht mehr die unzähligen Verordnungen und Auflagen der EU erfüllte, bröckelte der in den zwanziger Jahren errichtete Industriebau langsam vor sich hin. Die Stadt Linz als Eigentümer vermietete die noch erhaltenen Teile zu äußerst günstigen Konditionen an kleine Software-Programmierer, alternative Ich-AGs, einen schwulen Discobetreiber, der im vorderen Teil, dem ehemaligen Kühlhaus, an den Wochenenden die Gay-Disco „Cave Club“ betrieb, und an den lokalen Radio-Sender „Wahre Werte“.
Tony Braun parkte seinen Wagen direkt vor der Rampe. Mit einem Sixpack unter seinem Arm zwängte er sich im Zickzack durch den schmalen Gitterweg. Noch vor einigen Jahren hätte er nicht im Traum daran gedacht, jemals hierher zu gehen. Aber mittlerweile war das ganz gut so. Seine Therapeutin hatte ihm das aufgeschwatzt, nach seinem Scheidungsausraster und dem anschließenden Chaos in seinem Leben. Jetzt machte ihm die Moderation der Sendung schon richtiggehend Spaß und bei seinem letzten Termin bei der Therapeutin hatte er sich auch artig für den Tipp bedankt. Es war das erste Mal gewesen, dass er ihr ein Kompliment gemacht hatte und er merkte, dass sie sich über dieses Feedback ziemlich freute.
Auf der Rückseite des Gebäudes schlug er mit der flachen Hand auf einen großen roten Knopf und das Rolltor ratterte laut quietschend nach oben.
„Hallo, Tony! Alles klar bei dir, Nighthawk!“
Grüßend hob ein bleicher, übergewichtiger Mann mit fettigen langen Haaren die Hand zum Abklatschen, als Braun das Studio der „Wahren Werte“ betrat. Wie immer setzte er sich im Vorraum an den wackeligen Tisch, während der Dicke schnaufend den Kaffeeautomaten startete und sich ächzend auf ein ramponiertes Sofa setzte.
Der Vorraum hatte zwei Türen, hinter der einen saß der Techniker und Webmaster an seinem betagten Mischpult und die andere Tür führte direkt in den Senderaum für die Livesendungen. Die rote On-Air-Lampe an der Wand war ausgeschaltet, die massive Eisentür stand halb offen, auf dem Tisch lag ein Kopfhörer, das CD-Deck war geöffnet und das Galgenmikro baumelte von der Decke. Über dem großen Glasfenster, das den Aufnahme- vom Technikraum trennte, hing eine Digitaluhr, die 0.50 Uhr anzeigte.
„Plauderst du heute wieder mit Leuten, denen es genauso scheiße geht wie dir, Nighthawk?“ Giorgio Miller war Eigentümer und einziger Angestellter des Mini-Radios „Wahre Werte“. Außerdem besaß Giorgio einen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen. Er war in einer Zeit groß geworden, als Love & Peace eine Lebenseinstellung waren und nicht bloß ein schnelllebiger Modetrend. Die wahren Werte der Musik, Literatur und Sozialtalks, aus diesen drei Säulen bestand das Programm des Senders.
Giorgio Miller ging auf die 65 zu und war alles andere als ein Traummann. Wenn er jedoch vor dem Mikro saß und über die wahren Werte der Musik philosophierte, bekam seine Stimme eine engelsgleiche Färbung und der fette alte Mann verwandelte sich in einen wahren Star, dem die Welt zu Füßen lag.
Seit fünf Jahren waren sie mit dem Radio On Air und seit einem Jahr konnte man die Sendungen auch per Stream über das Web empfangen. Registrierte Mitglieder konnten online gegen einen geringen Beitrag jede Menge Downloads, Infos und Tipps erhalten. Ansonsten hielt sich das Radio durch vereinzelte Werbekunden, Subventionen und vor allem aber durch den Enthusiasmus der Freelancer am Leben.
Freelancer, wie etwa Braun, der einmal wöchentlich um ein Uhr morgens als Nighthawk mit seiner Sendung „Talk ohne Limits“ On Air ging.
„Also Nighthawk, bist du gut drauf? Schadet dir nicht, auch die Probleme anderer anzuhören! Die Hörer mögen es, wenn du Scheiße redest!“ Giorgio Miller schlürfte geräuschvoll seinen heißen Kaffee und lächelte ihn an.
„Keine Moralpredigt, Giorgio“, sagte Braun und hob abwehrend seine Hände. „Ich darf nicht immer mein Ego durchdrücken, schon
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