Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
Mühe, ihm in ihrem schwarzen Cayenne zu folgen.
Schon im Morgengrauen war Igor Drakovic im Innenhof seines Palais damit beschäftigt gewesen, seine Vögel in ihren prächtigen Käfigen zu füttern. Natürlich hätte das auch einer seiner zahllosen Bediensteten erledigen können, aber diese Tätigkeit war ein Ritual, mit dem er sich auf den Tag vorbereitete und lästige Probleme auf den Punkt brachte, indem er mit den Vögeln Zwiesprache hielt.
Das Morgengrauen war seine liebste Zeit. Die nächtliche Dunkelheit war bereits einem graublauen Zwielicht gewichen, die Luft fühlte sich kühl und energiegeladen an und inspirierte ihn. Palma de Mallorca lag noch in tiefem Schlummer, nur das leise Schlagen der Flügel seiner Vögel setzte einen Akzent in der Stille, als er den Innenhof betrat. Wie jeden Tag umrundete er langsam die hohen Käfige und flüsterte beruhigende Worte, wenn einer der Vögel den Kopf aus dem Gefieder hob und ihn argwöhnisch beobachtete. Auf seinem chromblitzenden Handwagen, den er vor sich herschob, waren die unterschiedlichsten Körner und Futtermischungen exakt aufgereiht, zwar mit Etiketten versehen, doch Igor Drakovic wusste genau, welche spezielle Mischung für jeden seiner Vögel bestimmt war.
Ein schleppendes Geräusch aus dem oberen Stockwerk ließ ihn zusammenzucken und der Kakadu, den er gerade versonnen betrachtete, begann nervös zu flattern.
„Igor, wann ist mein großer Auftritt? Das Datum, ich kann mir das Datum nicht merken!“ Eine Frau beugte sich über die Galerie und blickte suchend in den Innenhof. Die langen, schwarz gefärbten Haare hatte sie hoch aufgetürmt und nur zwei Locken umrahmten seitlich ihr Gesicht, das trotz der Tränensäcke und der schlaffen Kinnpartie noch immer ungewöhnlich schön war.
„Ivanka, du bist schon wach? Es ist doch noch so früh!“ Igor Drakovic stieg langsam die breite Steintreppe nach oben und umarmte seine Schwester.
„Ach Igor, ich konnte nicht schlafen. Ich habe wieder von Vuk geträumt. Er stand an meinem Bett mit seiner Gitarre.“ Ivanka Drakovic lehnte theatralisch den Kopf an die Schulter ihres Bruders, seufzte lang und tief. „Wir haben die Lieder von Brajanovic gesungen, ganz so wie früher. Ich war so glücklich, doch dann bin ich aufgewacht!“
Ivankas dunkle Augen füllten sich mit Tränen, sie lehnte sich an die Balustrade und blickte nach oben in das Kreuzgewölbe der Galerie. Sie trug einen goldbestickten bodenlangen Kaftan, der ihre üppigen Formen unauffällig kaschierte. Trotz der frühen Morgenstunde hatte sie ihr Bühnen-Make-up aufgelegt: die Augenbrauen balkenartig schwarz nachgezogen, die Augenlider breit mit schwarzem Kajal geschminkt, goldbrauner Lidschatten ließ ihre Lider schwer und schläfrig wirken. Um den Hals trug sie mehrere massivgoldene Ketten mit unterschiedlichen Anhängern und Amuletten, die sie immer nach ihren Auftritten gekauft hatte. Als sie mit den Händen ihre beiden Haarsträhnen kringelte, klimperten unzählige goldene Reifen, die sie an beiden Armen trug.
„Wird Milan, mein kleiner Sohn, auch bei meinem Fest sein?“, fragte sie ihren Bruder.
„Dein Sohn Milan ist tot, Ivanka!“ Die Stimme von Igor Drakovic hatte mit einem Schlag das zärtliche Timbre verloren, klang wieder eisig und unerbittlich. „Dein Sohn ist tot, aber ich finde seinen Mörder, das verspreche ich dir!“
„Ach, Milan ist sicher bei seinem Vater. Du weißt doch, er liebt seinen Vater Vuk über alles.“
Igor Drakovic seufzte laut. Es war wie jeden Morgen, er fütterte seine Vögel, Ivanka hörte ein Geräusch, schleppte sich langsam auf die Galerie und schwärmte von ihrer großen Liebe zu Vuk, dem Roma. Sie träumte davon, wieder mit ihm gemeinsam aufzutreten, er als Virtuose an der Gitarre, sie mit ihrem schmachtenden Gesang und beide verzauberten das Publikum.
Sie war einige Jahre jünger als Igor und hatte als junges Mädchen ein ausgeprägtes Talent für Gesang und Schauspiel. In dem kleinen Kaff, aus dem die Drakovics stammten, unterhielt sie an den Wochenenden die Bewohner mit selbst komponierten Schlagern und kurzen, slapstickartigen Sketchen. An ihrem 16. Geburtstag gastierte ein Wanderzirkus nicht unweit des Dorfes, Ivanka ließ sich von einem jungen Roma namens Vuk auf der Gitarre begleiten, gemeinsam interpretierten sie Songs der Beatles und des serbischen Popstars Brajanovic. Diese Beziehung hatte natürlich Folgen und als der Zirkus in Richtung Mazedonien weiterzog, war Ivanka schwanger. Igor
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