Tohuwabohu
folgte, zum Schweigen gebracht. Als die Falltür aufknallte und das Gerüst unter dem Aufprall beängstigend ins Wanken kam, erinnerten die Zeichen der Sterblichkeit, deren Zeuge er gerade gewesen war, den Kaplan wieder an den eigentlichen Zweck seines Besuches, und er brachte ein Gebet für den Verstorbenen dar. »Lasset uns beten für die Seele des Hingeschiedenen, wo immer sie auch sei«, sagte er und senkte den Kopf. Direktor Schnapps und Els machten die Augen zu und lauschten mit gesenkten Köpfen dem Gebet. Mehrere Minuten murmelte der Kaplan weiter, dann schloß er: »Und möge Dein Diener von uns gehen ins ewige Heil. Amen.«
»Amen«, sagten Direktor Schnapps und Els gleichzeitig. Die Männer auf dem Galgengerüst hoben die Köpfe, und Els trat vor, um in das Loch hinunterzugucken. Der Strick hatte zu schwingen aufgehört und hing recht lose, wie Els meinte, wenn man das Gewicht der Last daran in Betracht zog. Als sich seine Augen an die Dunkelheit da unten gewöhnt hatten, wurde Els allmählich klar, daß da was fehlte. Die Schlinge an dem Strick hing lose und leer da. Das Gebet des Kaplans war erhört worden. Wo immer Gottes Diener auch sein mochte, er war zweifellos davongegangen und offenbar heil und gesund obendrein. Das Loch unter dem Galgen war absolut leer. Als der Bischof in die Ewigkeit fiel, dachte er, wie passend seine letzten Worte doch gewesen seien, und er war nur froh, daß er nicht noch bis zur nächsten Zeile gekommen war: »Du bleibst mein Gott«, denn er glaubte nicht mehr an ihn. Er konzentrierte sich auf den schrecklichen Schlag ins Genick, aber der Schmerz kam von völlig anderen Gliedmaßen her. »Mist«, dachte er, als er mit einem fürchterlichen Krachen auf dem Boden landete und seitwärts zur Tür hinaus auf den sonnenbeschienenen Hof rollte. Der Stoffsack war zerrissen, und seine Beine taten ganz entschieden weh, aber keine Frage war, daß er sich alles mögliche gebrochen haben mochte, bloß das Genick nicht. Er lag still da und wartete, daß Els ihn zu einem zweiten Versuch holen werde. Er war also nicht überrascht, als er fühlte, wie Hände ihn an Füßen und Schultern hochhoben. Im nächsten Augenblick lag er auf einer Trage und wurde in einen Krankenwagen geschoben. Die Türen wurden zugeschlagen, und der Krankenwagen raste davon. Er mußte kurz halten, als die Gefängnistore geöffnet wurden, dann sauste er mit heulenden Sirenen hinaus auf die Straße.
Hinter ihm hatte das Haus des Todes begonnen, die Voraussagen des alten Wärters zu erfüllen. Unter dem Getrampel der allgemeinen Flucht, die auf dem Gerüst einsetzte, als Henker Els, der verdutzt in das Loch runterstarrte, ausrutschte und sich an den Beinen von Direktor Schnapps festhielt, um nicht noch selber reinzufallen, kippten die Mauern des Galgens langsam nach innen, und unter dem Getöse stürzenden Mauerwerks verschwanden Direktor, Henker und Kaplan in einer dichten Wolke aus schwarzem Staub. Der alte Wärter saß in seinem Dienstzimmer und dankte seinem Schicksal. »Ich sagte ja, er wär nicht sicher«, murmelte er und griff zum Telefon, um das Krankenhaus anzurufen. Als der Krankenwagen durch die Straßen Piemburgs raste, spürte Jonathan Hazelstone, daß der Sanitäter die Riemen losband, mit denen ihm Arme und Beine gefesselt waren. Eine Hand schlüpfte unter sein Hemd und befühlte seine Brust. »Alles in Ordnung. Es schlägt noch«, hörte er den Sanitäter zum Fahrer sagen. Jonathan hielt den Atem an, bis die Hand wieder weg war. Dann entspannte er sich langsam. Die Geräusche der Stadt um ihn herum kamen durch den Leinensack gesickert, und als er da so lag, wurde Jonathan Hazelstone zum ersten Male klar, daß das, was da auf ihn wartete, ihm den Tod durch Erhängen unendlich willkommener erscheinen lassen könnte.
»Ich laß mich hängen, wenn mir jetzt noch jemand mein Herz rausschneidet«, sagte er sich, als der Krankenwagen durch das Tor des Piemburger Krankenhauses federte und vor der Leichenhalle hielt.
Im Krankenhaus war die Meldung von der Hinrichtung zugleich mit der eindringlichen Forderung des alten Wärters eingetroffen, noch ein paar mehr Krankenwagen zum Gefängnis zu schicken, um die Opfer des schrecklichen Einsturzes des Todeshauses abzuholen. Die Spannung, die bereits im Krankenhaus geherrscht hatte, entwickelte sich rasch zu so was wie einer Massenpanik. Der Kommandant, der schon für die Operation vorbereitet war, bekam eine Vollnarkose und wurde bewußtlos in den Operationssaal
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