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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Hauptbüro der Yomiuri Shimbun begann. Das Seminar sollte zwei Tage daueren. Am ersten Tag fanden Kurse statt, am zweiten enshuu , also »praktische Übungen«, ein Euphemismus für Prüfungen. Ich war überrascht, dass sie dieses Wort benutzten, weil es im Grunde ein militärischer Begriff ist.1
    Das Seminar begann mit einer Eröffnungsrede und einem Vortrag »für diejenigen unter Ihnen, die Journalisten werden wollen«, dann folgte ein zweiter Vortrag über ethische Grundsätze des Journalismus. Danach sprachen »Jungs an der Front« – also aktive Reporter – über ihre Arbeit, ihre Freude über eine gute Story und die Enttäuschung, wenn die Konkurrenz ihnen eine Schlagzeile weggeschnappt hatte.
    Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Vorträge. Denn die vielen Stunden, die ich damit verbracht hatte, einigermaßen Japanisch lesen und schreiben zu lernen, hatten einen Nachteil: Ich konnte die Sprache sehr schlecht verstehen und sprach sie auch nicht sonderlich fließend. Aber ich ging ein kalkuliertes Risiko ein. Denn man brauchte eine ausreichende Punktzahl im schriftlichen Test, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Deshalb hatte ich mich mehr im Lesen und Schreiben geübt als in anderen Fertigkeiten. Ich möchte nicht behaupten, dass ich die japanische Sprache gar nicht verstand, es war eher so, als wäre ich ein bisschen hör- und sprachbehindert.
    Aber soweit ich sie verstand, waren die Ausführungen des Polizeireporters über die Abteilung für öffentliche Sicherheit der Tokioter Polizei ziemlich interessant. Der Mann sah aus wie 40, hatte graues Kraushaar und hängende Schultern – die Japaner nennen das »Katzenpose«.
    Er erklärte, dass die Abteilung für öffentliche Sicherheit nur selten Bekanntmachungen und niemals Pressemitteilungen herausgebe. Alles werde bei Pressekonferenzen gesagt, und wer da nicht aufpasse, der gehe eben leer aus. Das sei kein Ort für Adrenalinsüchtige (oder Ausländer). Manche Reporter besuchten diese Konferenzen ein ganzes Jahr lang, ohne ein einziges Wort zu schreiben. Doch wenn eine Verhaftung stattfand, war das immer eine wichtige Nachricht, weil sie die nationale Sicherheit betraf.
    Die eigentliche Prüfung – oder der »militärische Drill«, wie man sie nannte – sollte drei Tage später in der Yomiuri-Berufsschule für Technik in einem Vorort von Tokio stattfinden.
    Da ich die Firmenbroschüre nicht gelesen hatte, war ich ein wenig überrascht, dass eine Zeitung auch eine Berufsschule betrieb. Damals wusste ich noch nicht, dass die Yomiuri viel mehr war als eine Zeitung. Sie war ein riesiger Firmenkomplex, zu dem unter anderem der Vergnügungspark Yomiuriland, das Reisebüro Yomiuri Ryoko und ein traditionelles japanisches Gasthaus in Kamakura gehörten. Außerdem besaß sie ihre eigene Miniklinik im zweiten Stock der Firmenzentrale, Schlafzimmer in der dritten Etage, eine Cafeteria, eine Apotheke und eine Buchhandlung, sogar ein Massagetherapeut arbeitete im Haus. Und das Baseballteam der Zeitung, die Yomiuri Giants, wurde wegen seiner landesweiten Popularität oft mit den Yankees verglichen. Unterhaltung, Urlaub, Gesundheitsfürsorge und Sport – man konnte sein Leben führen, ohne das Yomiuri -Imperium zu verlassen.
    Vom Bahnhof aus folgte ich den vielen jungen Japanern in marineblauen Anzügen und mit roten Krawatten, dem typischen »Rekrutenlook« dieses Jahres. 1992 bedeutete das auch, dass all jene, die ihr Haar entsprechend der gängigen Mode braun oder rot gefärbt hatten, es nun wieder schwarz trugen. Ein paar Frauen waren mit nüchternen marineblauen Kostümen bekleidet.
    15 Minuten vor Beginn der Prüfung betrat ich die Berufsschule und schrieb mich ein. Eine Mitarbeiterin am Empfang fragte mich:
»Sind Sie sicher, dass Sie hier richtig sind?«
    »Ja, ich bin sicher«, antwortete ich bescheiden.
    Die Prüfung bestand aus vier Teilen: einem japanischen Sprachtest, einem Test in Fremdsprachen (dabei konnte man sich einige aussuchen), einem Aufsatz, und zum Schluss erhielten die Bewerber die Möglichkeit, sich selbst als künftige Mitarbeiter anzupreisen.
    20 Minuten vor allen anderen war ich mit dem ersten Teil fertig. Einige Minuten lang saß ich ziemlich stolz auf mich selbst einfach so da, bis ich das Blatt zufällig umdrehte und entsetzt bemerkte, dass auf der Rückseite ebenfalls Fragen standen. Jetzt musste ich mich anstrengen, um noch fertig zu werden. Als die Zeit abgelaufen war, gab ich ab, was ich ausgefüllt

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