Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hitomi Kanehara
Vom Netzwerk:
schätzungsweise Mitte Zwanzig.
    »Lui, das ist Shiba-san, ihm gehört der Laden. Und das hier ist mein Mädchen.«
    Ehrlich gesagt, betrachtete ich mich gar nicht als seine Freundin, aber ich hielt den Mund und nickte Shiba-san zu. »Mensch, da hast du dir ja was Süßes geangelt.« Ihr Gerede machte mich etwas verlegen, und ich wurde nervös. »Wir sind hier, um ihre Zunge piercen zu lassen.«
    »Sieh an, sogar Barbiegirls lassen sich inzwischen die Zunge durchstechen.« Shiba-san musterte mich neugierig. »Ich bin kein Barbiegirl.«
    »Sie will auch eine split-tongue haben, sagt sie«, grinste Ama albern.
    Offenbar hatte er meinen Protest gar nicht mitbekommen. Irgendwann hatte ich mal in einem Piercingshop aufgeschnappt, daß die Zunge nach den Genitalien die schmerzhafteste Zone beim Durchstechen war. Konnte ich mich da unbedenklich diesem Punk anvertrauen?
    »He, Schwester, komm her und laß mal sehen!«
    Ich trat an den Tresen und streckte ihm die Zunge raus. Shiba-san lehnte sich zu mir und sagte: »Gut, daß sie relativ dünn ist, dann tut es nicht so weh.«
    Erleichtert atmete ich auf.
    »Aber bei Grillgerichten sind doch Rinderzunge und Rindermagen das zäheste Fleisch, oder?« fiel mir plötzlich ein. Ob das wirklich gutging, wenn man ein derart robustes Gewebe durchbohrte?
    »Na ja, Schwesterchen, da ist was dran. Es zwickt ein bißchen mehr, als wenn man die Ohrläppchen durchsticht. Du machst da schließlich ein Loch rein, das schmerzt schon ordentlich.«
    »Mensch, Shiba-san, mach ihr doch keine Angst. Keine Sorge, Lui, ich hab’s ja auch geschafft.«
    »Ach ja? Von wegen! Du bist dabei doch fast krepiert. Na ja, mir soll’s recht sein. Dann kommt mal mit!«
    Shiba-san deutete hinter die Theke und lächelte mir zu. Sein Grinsen wirkte verschlagen, und sein Gesicht war zugepflastert mit Piercings: Augenbrauen, Lippen, Nase, Wangen. Hinter einer derartigen Panzerung konnte man gar keine Miene mehr erkennen. Seine beiden Handrücken waren mit Brandnarben übersät. Erst dachte ich, sie stammten von einem Unfall, aber bei näherem Hinsehen fiel mir auf, daß sie alle kreisrund waren und einen Durchmesser von ungefähr einem Zentimeter hatten. Er schien sie sich mit einer glühenden Zigarette verpaßt zu haben, so eine Art Mutprobe. Echt durchgeknallt, der Typ! Ama war meine erste Bekanntschaft mit dieser Freakszene. Dieser Shiba-san hatte zwar keine Schlangenzunge, aber seine Visage wirkte schon furchterregend mit all den Piercings.
    Ich folgte Ama ins Hinterzimmer. Shiba-san wies auf einen Alustuhl, auf dem ich Platz nahm. Ich schaute mich um. Es gab eine Liege, ein paar sonderbare Utensilien und an den Wänden, wie zu erwarten, weitere schockierende Fotos.
    »Machst du hier auch Tattoos?«
    »Klar doch, ich bin auch Tätowierer. Aber den hier hat jemand anderes fabriziert«, erwiderte Shiba-san und deutete auf seinen Hinterkopf.
    »Ich hab meins auch hier machen lassen«, erklärte Ama.
    In der Nacht, als ich Ama kennengelernt hatte, waren wir uns im Gespräch über gespaltene Zungen nähergekommen, und er hatte mich mit zu sich genommen. Den gesamten Eingriff zum Formen einer Schlangenzunge, vom Vergrößern des Lochs mittels Piercing bis hin zum Durchtrennen mit dem Skalpell, hatte er fotografisch dokumentiert. Fasziniert schaute ich mir jede einzelne Aufnahme eingehend an. Ama hatte das Loch in der Zunge bis zu 00g geweitet, so daß der Schnitt nur fünf Millimeter durchtrennen mußte. Trotzdem war es das reinste Blutbad. Danach zeigte er mir im Internet eine Underground-Website mit Videodokumentationen über das tongue-splitting. Zu Amas Verwunderung sah ich mir die Sequenzen wieder und wieder an. Ich wußte selbst nicht, was mich daran so fesselte. Anschließend schlief ich mit ihm. Später, als Ama sich mit seinem Tattoo – ein Drache, der sich über Arme und Rücken erstreckte – brüstete, beschloß ich, mich ebenfalls tätowieren zu lassen, sobald meine Zunge gespalten war.
    »Ich will auch ein Tattoo!«
    »Echt!?« riefen Ama und Shiba-san wie aus einem Munde.
    »Mann, das sieht bestimmt cool aus. Tattoos wirken bei Frauen viel geiler als bei Männern. Besonders bei jungen Mädchen. Deren Haut ist so feinporig, daß man ganz saubere, detaillierte Zeichnungen machen kann.« Shiba-san strich mir dabei sanft über die Arme.
    »He, Shiba-san, alles schön der Reihe nach. Erst das Piercen.«
    »Hm … okay!«
    Shiba-san langte nach hinten ins Stahlregal und holte ein Instrument aus einer

Weitere Kostenlose Bücher