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Tolstoi Und Der Lila Sessel

Tolstoi Und Der Lila Sessel

Titel: Tolstoi Und Der Lila Sessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Sankovitch
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schicken, auf der Varya schluchzend steht und auf ihre Mama wartet. Dem kleinen Mädchen wird eine Schönheit nach der anderen vorgeführt, doch es schüttelt bei jeder den Kopf und schluchzt immer lauter. Schließlich kommt eine Frau angerannt: »Ihr Gesicht war groß und rund und ihr Körper noch runder. Zwischen den Augen, die blasse, schmale Schlitze waren, saß eine dicke Kartoffelnase. Im Mund hatte sie fast keine Zähne.« Das ist Varyas Mutter, und Mutter und Kind haben sich wieder: »Das Lächeln, nach dem Varya sich so gesehnt hatte, strahlte von Neuem für sie.« Noch heute treten mir bei dieser Geschichte die Tränen in die Augen. Damals wie heute bringt sie für mich die ganze unschuldige Schönheit der Liebe zwischen Eltern und Kindern zum Ausdruck.
    Meine Mutter war und ist wirklich die schönste Frau der Welt, und Anne-Marie war genauso schön: die beiden schönsten Frauen der Welt, in einer Familie! Am Tag, an dem meine Schwester starb, hatte sie sich so gut gefühlt, dass sie sich aufsetzen und schminken konnte. Sie brauchte nie Kajal, Wimperntusche oder Lippenstift, um gut auszusehen, aber mit Make-up war sie einfach umwerfend, selbst dann noch, als sie todkrank war. An diesem Tag ließ sie sich ihre wunderbaren dunkelblonden Haare von mir bürsten. Sie hatte befürchtet, die Haare würden ihr bei der Chemotherapie ausfallen, aber so weit kam es nie. Wir hätten allesamt unser Haar für eine Chance im Kampf gegen ihre Krankheit gegeben. Aber der Gallengangkrebs schritt zu rasch fort. Die Behandlung war quälend, aber nicht heilsam.
    Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, Anne-Marie an dem Tag zu besuchen, an dem sie starb. Seit sie Anfang Mai wieder ins Krankenhaus gekommen war, hatte ich sie jeden Tag besucht. An einem schönen Frühlingsmorgen war sie mit einem grauenhaft geschwollenen Bauch aufgewacht. Ihre Organe versagten, und Gallenflüssigkeit staute sich an. Sie hielt zu Hause durch und hoffte, dass ihre Körperfunktionen wieder einsetzen würden, aber als es Abend wurde, wusste sie, dass sie ins Krankenhaus musste. Jack und ich waren zur Feier unseres dreizehnten Hochzeitstages aus gewesen und gingen gerade am Fluss hinter der Hauptstraße unseres Ortes spazieren, als ich den Anruf bekam. Ich klappte mein Handy zu und lief von Jack weg, hinaus auf einen Steg, der durch die Marsch zum Flussufer führt. Das Wasser stand niedrig, und der Geruch von Meersalz, Schlick und Verwesung vermischte sich mit der sanften Frühlingsbrise. Ich machte die Augen zu und weinte.
    Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug in die Stadt und ging die dreißig Blocks zum New York Presbyterian Hospital zu Fuß. Genau wie am folgenden und am darauf folgenden Tag.
    Als mein Vater seinen achtzigsten Geburtstag feierte, ging es Anne-Marie so gut, dass ihr der Sinn nach einer Praline und einem Schluck Sekt stand. Ich besuchte sie weiterhin täglich, und es schien ihr allmählich besser zu gehen, schrittweise und mit gelegentlichen Rückschlägen. In den letzten Tagen hatte sie wieder mehr gegessen, gern geredet und gelacht. Sie hatte sich angewöhnt, zwei Lesebrillen zu tragen, beide saßen übereinander auf ihrem Kopf, für alle Fälle. Sie schien voller Lebenskraft.
    Ich überlegte, ob ich nicht einen Tag zu Hause bleiben und die Berge schmutziger Wäsche und unbezahlter Rechnungen in Angriff nehmen sollte, aber Jack drängte mich geradezu, sie zu besuchen.
    »Fahr heute Morgen mit mir zusammen in die Stadt. Dann bist du rechtzeitig wieder da, um die Jungs abzuholen.« Mit den Jungs meinte er unsere drei Großen, Peter, Michael und George. Der jüngste unserer vier Söhne, Martin, war noch im Kindergarten und an dem Tag zu Hause bei mir. Meine Mutter würde sich freuen, ihn zu sehen. Sie konnte mit ihm auf den Spielplatz am Krankenhaus gehen, und ich würde Anne-Marie einen kurzen Besuch abstatten.
    Die Hose, die ich an diesem Tag trug, war mir zu weit geworden. Ich hatte im letzten Monat nicht mehr regelmäßig gegessen und trank abends keinen Wein mehr. Ein Glas, und ich brach in Tränen aus. Selbst wenn die Kinder schon im Bett waren, wollte ich nicht, dass sie aufwachten und mich schluchzen hörten. Sie brachten ohnehin schon mehr Geduld und Verständnis für mich auf, als man von Kindern je verlangen konnte. An einem Sonntag war Peter mit ins Krankenhaus gekommen. Als wir Anne-Maries Zimmer verließen, legte er den Arm um mich und sagte: »Ich hab dich lieb, Mom.« Elf Jahre alt, und er tröstete mich.
    Erst wenige

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