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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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bringst ihn noch völlig durcheinander«, flüsterte Sofja Andrejewna.
    Aber Tolstoi hatte sich schon dem Inder zugewandt.
    »Wenn man all die verrückten Details beiseite lässt«, sagte er, »muss ich zugeben, dass dieser Traum tatsächlich in bestimmter Weise … sozusagen langgehegten Gedanken von mir nahekommt. Vielen meiner Gedanken. Doch ich glaube selbstverständlich nicht, dass man auf die Art einen Blick in die Zukunft werfen kann.«
    »Dieses Amulett ermöglicht es, die Wahrheit zu sehen«, entgegnete der Inder. »Vergangenheit und Zukunft sind nur ein Teil der Wahrheit.«
    »Ich könnte nicht behaupten, die Wahrheit gesehen zu haben.«
    »In einem derartigen Experiment kann sie maskiert sein oder mit Ungereimtheiten durchsetzt«, bemerkte der Inder. »Wie die Sonne am Himmel – sie ist manchmal von Wolken verdeckt, aber ihr Vorhandensein ist unbestreitbar.«
    »Es stimmt, im Traum kam mir häufig die Frage nach der Wahrheit«, sagte Tolstoi. »Aber eine Antwort habe ich nicht erhalten.«
    »Dann wird das Experiment weitergehen«, sagte der Inder. »Einmal begonnen, wird es ganz bestimmt zu Ende geführt.«
    Tolstoi schmunzelte.
    »Wir befinden uns hier auf schwankendem Boden. Sie wollen mich glauben machen, dass ein Wunder geschehen ist. Meiner tiefen Überzeugung nach aber sind Wahrheit und Wunder zwei unvereinbare Dinge. Wenn von so etwas wie Auferstehung, Verklärung und dergleichen mehr die Rede ist, sollte man sofort prüfen, ob die Geldbörse noch da ist, wo sie hingehört. Achten Sie einmal darauf: Diese religiösen Wunder sind immer irgendwie armselig und mittelmäßig – entweder eine Ikone weint Öltränen oder einer mit zwei lahmen Beinen hinkt plötzlich nur noch auf einem Bein oder die Teufel lassen von der einen Schweineherde ab und fahren in die andere …«
    »Ljowa«, sagte Sofja Andrejewna vorwurfsvoll.
    »Sind Sie Materialist?«, fragte der Inder.
    »Ganz und gar nicht«, erwiderte Tolstoi. »Ich meine vielmehr, dass es keinen schlimmeren Irrtum gibt als die Anschauung der Materialisten. Ich kann indes nicht behaupten, dass ich irgendeine religiöse Doktrin voll und ganz anerkenne.«
    »Glauben Sie an Gott?«
    »Natürlich.«
    »Stimmen Sie der Ansicht zu, der Mensch sei seine Verkörperung?«
    Tolstoi fing an zu lachen. Tschertkow drehte sich zu dem Übersetzer um und sagte:
    »Er lacht, weil wir vor zwei Tagen genau darüber gesprochen haben. Die Antwort von Lew Nikolajewitsch war, wie ich finde, bemerkenswert formuliert. Er hat sich so geäußert: Der Mensch hält sich für Gott und er hat recht, weil Gott in ihm ist. Er hält sich für ein Schwein und er hat wieder recht, weil auch ein Schwein in ihm ist. Aber der Mensch täuscht sich gewaltig, wenn er sein inneres Schwein für Gott hält.«
    Der Inder lauschte der Übersetzung, nickte sehr ernst und fragte:
    »Glauben Sie an die Seelenwanderung?«
    »Ich meine«, erwiderte Tolstoi, »dass die Existenz einer einzelnen Persönlichkeit nur eine der Phasen des ewigen Lebens in seinen sich allmählich vervollkommnenden Formen ist. Diese Formen sind einander so nah, dass die vage Erinnerung an den vorhergehenden Zustand im Menschen niemals verschwindet. Vielleicht spricht man deshalb von Seelenwanderung. Der Tod ist jedenfalls nicht schrecklich, er ist nur ein Übergang. Die Welt ist ein Ganzes. Und es gibt kein anderes Wunder als das Leben.«
    »Einverstanden«, sagte der Inder, als der Übersetzer ausgeredet hatte. »Das einzige echte Wunder sind wir selbst. Daher will ich Sie keineswegs glauben machen, dass Ihnen ein Wunder geschehen ist. Im Gegenteil, aus meiner Sicht ist an einem solchen Experiment gar nichts Ungewöhnliches.«
    Tolstoi lächelte.
    »Nun, wenn das so ist, ist es gut. Sie behaupten also, ich würde diesen Traum irgendwann zu Ende träumen?«
    »Ja«, sagte der Inder. »Ganz bestimmt. Und das Amulett brauchen Sie nicht mehr.«
    Es gab eine Pause im Gespräch, die der Lakai ausnutzte, der in der Tür erschienen war.
    »Es sind neue Gäste eingetroffen«, teilte er mit.
    »Wer denn?«, fragte Sofja Andrejewna.
    »Zwei gebildete Arbeiter«, spottete Tolstois Sohn Dmitri Lwowitsch, der nach dem Lakai eingetreten war, »und eine Studentin. Anscheinend eine Nihilistin – kurzgeschnittene rote Haare, raucht eine Papirossa. Hübsches Mädchen.«
    »Na bitte«, grinste Tschertkow, »die wollen sicher wieder Geld für Revolver haben.«
    »Und ich werde ihnen auch dieses Mal nichts geben«, versetzte Tolstoi. »Und dem

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