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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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von keinerlei praktischem Nutzen war.«
    »Wie interessant, Ljowa.« Sofja Andrejewna schlug die Hände zusammen. »Warum sagst du es denn nicht? Wie hieß der Gott?«
    »Ich kann mich nicht genau erinnern«, sagte Tolstoi. »Es waren vier Buchstaben, von denen aber keiner genau sagen konnte, was sie bedeuten. Aber das Amulett«, sagte er an den Inder gewandt, »wollte man mir im Traum wegnehmen. Man wollte mich seinetwegen sogar umbringen. Und dann«, sagte Tolstoi, jetzt an Knopf gewandt, »wurden Sie seinetwegen umgebracht.«
    Knopf, immer noch mit der Hand an der Brust, schloss die Augen und nickte, als nähme er eine verdiente Strafe entgegen.
    »Sagen Sie, wer waren denn diese Schriftsteller?«, fragte Tschertkow. »Diese Leute, die Sie erfunden haben?«
    Tolstoi nippte an seinem Tee.
    »Irgendwelche finsteren Gestalten«, sagte er. »Der Obergauner hieß Ariel. Aber es war eine ganze Werkstatt von Leuten, die alle zusammen einen Roman schrieben.«
    »So was wie bouts-rimés ?«, fragte Tschertkow.
    »Nein«, antwortete Tolstoi, »viel schlimmer. Die schreiben Bücher, wie unsere Bauern Schweine zum Verkaufen züchten. Und ich war der Held in so einem Roman. Eine Zeit lang habe ich ihn übrigens sogar selbst geschrieben, und zwar die verrücktesten Stellen. Dazu habe ich immer einen weißen Handschuh angezogen. Der Handschuh ist echt, er liegt bei mir auf dem Schreibtisch, und ich ziehe ihn tatsächlich beim Schreiben manchmal an, wenn ich eine Blase an der Hand habe. Und eine Menge neuer Wörter habe ich gehört, die ich nicht verstanden habe. Aber sie waren sehr lustig.«
    »Das heißt, Sie haben doch die Zukunft gesehen«, sagte der Inder. »Wenn auch durch ein merkwürdiges Prisma. Denn es gab doch, wenn ich es richtig verstehe, in Ihrer Vision Elemente, die Sie keinesfalls aus Ihrer Alltagserfahrung ableiten können?«
    »Oh ja, allerdings, und zwar in großer Zahl«, bestätigte Tolstoi. »Besonders, als ich von Dostojewski mit seiner Kampfaxt geträumt habe. Da fing der richtige Albtraum an. Lebende Tote auf den Straßen von Petersburg, ellenlange Zoten an den Häuserwänden … Menschen, die sich gegenseitig die Seelen aussaugen, um daraus Profit zu schlagen, und zwar nicht für sich selbst, sondern für diejenigen, die ihnen das beibringen.«
    »Die Apokalypse«, seufzte Sofja Andrejewna.
    »Im Übrigen geschieht doch heute genau das Gleiche«, fuhr Tolstoi fort. »Für die meisten ist die Frage nicht, wie man leben, wem man dienen und welchen Glauben man verkünden soll, sondern wie man einen Preis bekommen und wie man reich werden kann … Von da ist es nicht mehr weit zu Ariel.«
    »Du denkst eben viel über solche Dinge nach«, sagte Sofja Andrejewna. »Also hast du davon geträumt.«
    »Möglicherweise«, erwiderte Tolstoi. »Übrigens hat Dostojewski ständig Konfuzius zitiert, und zwar genau die Stellen, die ich vor kurzem gelesen habe.«
    »Sagten Sie Ariel, Lew Nikolajewitsch?«, fragte Tschertkow leise.
    »Ja.«
    »Dieser Name bedeutet, soweit ich weiß, ›Der Löwe Gottes‹.«
    »Ach, Ljowa«, bemerkte Sofja Andrejewna, »Ariel warst sicher du. Der größte Löwe von allen.«
    »Ich habe es doch erklärt – ich war nur ein Held in dem Roman. Er war mein Autor.«
    »Aber Ljowa, du hast immer gesagt«, bemerkte Sofja Andrejewna, »dass du beim Schreiben selbst zu deinem Helden wirst und dass man anders überhaupt keine Literatur schreiben könne.«
    Tolstoi, der eben den Teelöffel in sein Glas gestellt hatte, erstarrte.
    »Ljowa, was ist los? Hast du dich verschluckt?«
    »Nein«, sagte Tolstoi und fing an zu lachen. »Dieser Gedanke wäre mir im Traum sehr gelegen gekommen. Ganz genau, ja … Der Autor muss sich als Held ausgeben, damit der überhaupt erscheinen kann … Da könnte ich ihn festnageln … Dann wird klar, warum man den Helden retten muss. Und wo man Gott suchen muss. Und warum man seinen Nächsten lieben muss, wenn er leidet – das ist die grenzenlose Ewigkeit, die sich vergessen hat, verzweifelt ist und weint …«
    »Du redest völlig verworren«, sagte Sofja Andrejewna.
    »Ach was«, versetzte Tolstoi, »das hat nichts zu sagen, ich denke nur laut. Der Mensch ist interessant konstruiert. Welcher Christ hätte nicht schon davon geträumt, Christus zu dienen, wenn er zu Tiberius’ Zeit in Palästina gelebt hätte? Dabei ist es in Wirklichkeit ganz einfach, einem allgegenwärtigen Gott zu helfen, das kann jeder – man muss sich nur nach rechts und links umsehen und

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