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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Mädchen gewöhnen wir das Rauchen ab. Wenn man sie auf einen Spaziergang über acht Werst mitnimmt, vergisst sie ihre Papirossi auf der Stelle …«
    »Ach, Ljowa!« Sofja Andrejewna schlug die Hände zusammen. »Warum verachtest du jegliche emanzipatorische Regung der weiblichen Seele?«
    Tolstoi lachte auf.
    »Wenn Frauen anfangen, über Emanzipation zu reden«, sagte er mit einem Blick auf den Inder, »muss ich immer an Epiktet denken. Er schrieb, dass die Römerinnen sich nicht von Platons Staat trennen konnten, weil Platon darin die Frauengemeinschaft predigt. Aber den Rest des Buches haben sie nicht so ganz verstanden. Emanzipation … Wozu? Euch bis zur Taille entblößen und zum Ball fahren – das könnt ihr auch jetzt schon.«
    »Vielen Dank, Ljowa«, sagte Sofja Andrejewna mit eisiger Stimme, »dass du heute wenigstens nicht verlangst, ich soll einen Sarafan und Bastschuhe anziehen und zum Fluss hinuntergehen, um die Wäsche zu waschen.«
    »Das würde dir gar nicht schaden«, entgegnete Tolstoi und erhob sich vom Tisch. »Aber du kannst es ja nicht. Das ist schließlich etwas anderes, als Préludes von Chopin zu spielen.«
    Als er bemerkte, dass die übrigen Gäste ebenfalls aufstanden, fügte er hinzu:
    »Bitte lassen Sie sich nicht stören. Ich lasse Sie bis zum Abendessen allein, ich muss ein paar Briefe schreiben …«
    Er wandte sich an den Inder:
    »Morgen früh zeige ich Ihnen, wenn Sie gestatten, meine Schule für die Bauernkinder.«
    »Das würde mich interessieren«, sagte der Gast höflich.
    In seinem Kabinett schloss Tolstoi die Tür von innen ab und setzte sich an den Schreibtisch. Er war ein wenig schläfrig, aber die Mattigkeit war seltsam angenehm. »Ich frage mich«, überlegte er, »ob ich wohl die Fortsetzung träume, wenn ich jetzt einschlafe?«
    Er legte die gefalteten Hände auf den Tisch, ließ den Kopf darauf sinken und nahm die Haltung ein, in der er vor dem Mittagessen erwacht war. Doch bei aller Müdigkeit wollte sich der Schlaf nicht recht einstellen. Mehrmals öffnete und schloss Tolstoi die Augen, bis er plötzlich bemerkte, dass von der Wand her – von der Stelle, wo sonst die Porträts von Fet und Schopenhauer hingen – Napoleon der Dritte ironisch auf ihn herabsah; er war in einen Hermelinmantel gehüllt und mit einem merkwürdigen Orden geschmückt, der aussah wie ein fünfzackiges Malteserkreuz.
    »Moment mal«, dachte er, »ich schlafe ja schon …«
    Nicht nur, dass er sehen konnte, ohne die Augen zu öffnen – er konnte in alle Richtungen sehen: Er sah die am Schrank hängende Kleidung, die Sense ohne Griff und seinen runden, weichen Hut. Gleichzeitig konnte er die in der anderen Ecke stehenden Spazierstöcke sehen. Aber trotz der vertrauten Gegenstände war dieser Raum ganz sicher nicht sein Kabinett, denn er hatte keine Fenster.
    »Dieses Zimmer habe ich schon einmal gesehen«, fiel es Tolstoi ein. »Aber es sah etwas anders aus … Ich habe darin versucht, mich selbst zu schreiben … Soll ich es nicht noch einmal versuchen? Ich müsste die Sache zu Ende bringen, solange Ariel in Ägypten ist …«
    Verwundert, wie leicht und zügig ihm alles von der Hand ging, nahm Tolstoi den weißen Glacéhandschuh vom Tisch, streifte ihn über, ergriff die Feder, tunkte sie in das Tintenfass und brachte einen Satz zu Papier, der ihm in dieser Sekunde eingefallen war:
    »Die Tür wurde aufgerissen und zwei Gendarmen betraten die Zelle.«

XXVII
    Die Tür wurde aufgerissen und zwei Gendarmen betraten die Zelle – Major Kudassow und ein Leutnant, den er nicht kannte.
    Der Major sah schneidig aus – sein Walrossbart war geschwärzt, die Wangen glattrasiert und überhaupt machte er den Eindruck, als wäre er unterwegs zu einem Ball und hätte sich im letzten Moment doch entschieden, zum Dienst zu gehen. Der Leutnant, der ihn begleitete, war ein ganz junger Mann, ohne Bart, mit einem Mittelscheitel und feuchten, aufmerksamen Augen, wie sie trächtige Hündinnen haben und Journalisten, die über die Pariser Mode schreiben.
    Beide Gendarmen gehörten offensichtlich zur guten Gesellschaft und an einer gewissen bürokratischen Starre in ihrer Miene war ersichtlich, dass die bevorstehende Unterhaltung nicht nach ihrem Geschmack war.
    »Wieso machen diese Gendarmen immer so einen verlegenen Eindruck?«, überlegte T. »Aber mich würde etwas anderes interessieren: Wer erschafft sie jetzt gerade? Ich selbst? Ariel? Oder vielleicht sogar Grischa Ownjuk? Wir werden sehen …«
    »Haben

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