1304 - Die Voodoo-Gräfin
Selbst die Hunde schliefen. Zwei Bulldoggen, die die Gräfin so liebte. Ohne die Tiere war sie fast nie zu sehen. Wahrscheinlich hatte die Frau sie mit ins Bad genommen. Jetzt umstanden die Tiere ihre Wanne und wachten.
Der Schlüssel passte. Helen gefiel nur nicht, dass ein leises Schaben oder Kratzen entstand, als sie den Schlüssel in das Schloss führte. Bei Tag und bei normalen Geräuschen wäre dieser Laut sicherlich untergegangen. Hier war das nicht der Fall, und so schloss sie für einen Moment die Augen, verkrampfte sich innerlich, drehte den Schlüssel zwei Mal und freute sich darüber, wie leicht es war, die Tür zu öffnen. Als wäre das Schloss frisch geölt worden.
Der Weg war frei!
Jetzt musste sie nur noch die Tür aufziehen. Plötzlich kehrte die Furcht zurück. Sie wusste, dass sich diese Seitentür nicht lautlos aufziehen lassen würde. Da gab es einen Trick, den sie jetzt anwendete. Sie hielt die Klinke fest und zog die schmale Tür mit einer schnellen Bewegung zu sich heran.
Ja, es klappte!
Die Tür öffnete sich. Es war auch kaum ein Laut zu hören gewesen. Zumindest keiner, der sie erschreckt hätte. Der Weg in die Freiheit lag vor ihr. Sie brauchte sich nur durch den Spalt zu schieben.
Helen Pride tat es zitternd.
Sie begriff noch nicht, dass es fast hinter ihr lag. Deshalb zitterte sie auch. Es war eine innere Freude, gepaart auch mit der Furcht, letztendlich doch noch erwischt zu werden, doch von diesem Gedanken musste sie sich lösen.
Im Freien empfingen sie der Wind und die Kälte. Für einen Moment schauderte sie zusammen. Bewusst hatte sie den dicken Wintermantel übergestreift, der ihr leider nur bis zu den Knien reichte, sodass der Rest der Beine kalt werden würde. Das würde sich durch das schnelle Laufen ändern.
Sie besaß noch die Nerven, die Tür wieder hinter sich zuzuziehen. Danach ging es ihr besser. Sie wollte auch keinen Blick mehr zurückwerfen, sondern einfach nur hineinlaufen in die Nacht und in die Kälte. Beides vereinigte sich zu einem ungewöhnlichen Gemälde, denn Helen hatte tatsächlich das Gefühl, in ein großes Bild zu gehen, um es zu beleben. Es lag so weit, so breit und lang vor ihr. Es setzte sich aus verschiedenen dunklen Farben zusammen, wobei der Himmel nicht nur finster war. Er lag hoch über ihr wie ein unendliches Dach. In der Kälte schienen seine einzelnen Teile eingefroren zu sein. Wenn sie etwas länger hinschaute, sah sie zahlreiche Sterne und einen Mond, der ein blasses Licht verstreute, das sich zwischen den dunklen Stellen wie ein bleicher Gruß einer längst verschwundenen Welt verteilte.
Helen schaute auf ihre Füße. Ja, sie trug genau die richtigen Schuhe. Halbhoch und gefüttert. Dicke Sohlen, die auch griffen. Das musste sie einfach so halten, denn das Gelände war ziemlich rau.
Bis zur nächsten Ansiedlung musste sie ziemlich weit laufen. Ob sie sich dort in Sicherheit befand, wusste sie auch nicht, denn der Arm der Gräfin reichte verdammt weit.
Sie startete.
Zuerst noch langsam, auch wenn es ihr schwer fiel. Sie wollte nicht so schnell rennen und dabei verräterische Geräusche hinterlassen. Sie traute der verdammten Gräfin alles zu. Manchmal fragte sie sich, ob sie überhaupt noch ein Mensch war, aber das drängte sie in diesem Fall zurück. Sie wollte auf keinen Fall mehr an das Grauen erinnert werden, und so schaute sich Helen auch nicht einmal mehr um.
Nur weg von hier!
Ihre Füße hinterließen auf dem hart gefrorenen Boden Geräusche, die nicht überhört werden konnten, so sehr sie sich auch bemühte. Aber es war niemand an einem der Fenster. Sie lief in die Dunkelheit hinein, die ihr im Moment gar nicht mehr so dunkel vorkam. Für sie war sie mehr eine Mischung aus Grau und einem fahlen Weiß.
Es gab keine Wege. Nicht mal eine Zufahrt zu dieser einsamen Festung, die zur Hälfte unbewohnt und verfallen war. Wenn sie ihr Ziel erreichen wollte, musste sie quer durch das Gelände laufen, auf dem weder ein Baum noch ein Strauch wuchs. Erst wenn sich das Gelände leicht senkte, würde sie eine bessere Deckung finden, denn dort fanden sich Bäume zu einem lichten Wald zusammen.
Helen bewegte sich hektisch. Ihre Beine wurden allmählich warm. Nicht nur sie allein. Durch die Bewegungen stieg auch das Blut in die Hände und die Füße. Sie brauchte nicht mal die Handschuhe überzustreifen, die in den Manteltaschen steckten.
Auf dem Weg durch das Schloss hin zur Tür hatte sie bei jedem Schritt das Bild der Gräfin vor
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