Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Politik?« schrie der Junker, »dein' Politik halt' ich soviel wert als das!« Bei diesen letzten Worten streckte er seine Hand aus gegen seine Schwester hin, und riß den Mittelfinger, den er fest gespannt auf den Daumen hielt, mit solcher Gewalt herunter, daß dessen Fall auf das Mäuslein des Daumens einen lauten Schall verursachte. Und war es dieser Schall und der dadurch angedeutete übermütige Trotz, oder die Verachtung, die er gegen seiner Schwester politische Einsichten ausdrückte, das will ich hier nicht entscheiden: genug, sie geriet in die heftigste Wut, stieß Redensarten aus, die wir schicklicherweise nicht wiederholen können, und stürzte augenblicklich zum Hause hinaus. Bruder und Nichte hielten auch nicht für diensam, sie weder aufzuhalten noch ihr nachzufolgen. Denn die eine war so sehr mit ihrer Betrübnis beschäftigt und der andere so ganz von Zorn hingenommen, daß sie beinahe ohne alle Bewegung da standen.
Der Junker schickte unterdessen seiner Schwester eben ein solches Holla nach, wie man einem Hasen nachzuschicken pflegt, wenn er zuerst vor den Hunden aufspringt. Er war wirklich ein großer Meister in dieser Art von lautschallenden Tönen, und hatte fast für eine jede Gelegenheit sein eigenes Holla.
Frauenzimmer, welche, wie Ihro Gnaden, Fräulein von Western, die Welt kennen und sich auf Philosophie und Politik gelegt haben, würden sich auf der Stelle der gegenwärtigen Gemütsverfassung des Junkers Western bedient und auf Kosten ihrer abwesenden Gegnerin seinem Verstande einige listige Komplimente angebracht haben. Aber die arme Sophie war die redlichste Einfalt. Bei diesem Worte sind wir nicht gesonnen, dem Leser zu verstehen zu geben, als wäre sie dumm, wiewohl zuweilen Einfalt und Dummheit für einerlei gehalten zu werden pflegen: denn sie war wirklich ein sehr verständiges junges Frauenzimmer, und ihr Verstand war von der feinsten Gattung; aber sie besaß nichts von der so brauchbaren List, welche die Weiber zu so manchem guten Zwecke ihres [303] Lebens anzuwenden wissen, und welche, sofern solche mehr im Herzen als im Kopfe steckt, oft ein Eigentum des dümmsten Gänschens unter Evens Töchtern ist.
Viertes Kapitel.
Porträt der Ehegenossin eines Landjunkers, nach dem Leben gemalt.
Nachdem Herr Western sein Holla geendigt und wieder ein wenig Atem geschöpft hatte, begann er in sehr pathetischen Ausdrücken über den unglücklichen Zustand der Männer zu klagen, welche, wie er sagte, immer den Launen einer oder der andern verdammten Betze vor die Peitsche laufen müßten. »Ich meinte, 'ch wär von deiner Mutter hart genug gehetzt worden; aber nun die lahm liegt, kommt da 'n ander Tiffe und sitzt m'r auf'n Läufen, aber eher soll m'r die beste Mähre im Stall' umfall'n, eh'r ich mich so von 'n will stell'n lassen.«
Sophie hatte niemals die geringste Zwistigkeit mit ihrem Vater bis auf diese unglückliche Heiratssache mit Blifil gehabt, ausgenommen zur Verteidigung ihrer Mutter, welche sie sehr zärtlich geliebt, ungeachtet sie solche schon in ihrem elften Jahr verloren hatte. Der Junker, welchem diese arme Frau die ganze Zeit ihres Ehestandes hindurch beständig als eine getreue Oberaufseherin über das Hauswesen gedient, hatte diese treuen Dienste dadurch belohnt, daß er gegen sie das gewesen war, was man so einen guten Ehemann zu nennen pflegt. Er schalt und fluchte selten über sie (vielleicht die Woche nur einmal) und schlug sie niemals. Sie hatte nicht den geringsten Anlaß zur Eifersucht, und mit ihren Tagesstunden konnte sie anfangen was sie wollte; denn ihr Eheherr überlief sie zu keiner Zeit, weil er den ganzen Vormittag mit seinen weidmännischen Uebungen im Feld und Forst und den ganzen Nachmittag mit seinen nassen Brüdern zubrachte. In der That sah sie ihn selten anders als bei den Mahlzeiten, woselbst sie das Vergnügen hatte, von eben den Schüsseln vorzulegen, die sie vorher mit geholfen hatte anzurichten. Von diesen Mahlzeiten begab sie sich ungefähr fünf Minuten später hinweg als die übrigen Bedienten, indem sie bloß solange wartete, um des Junkers gewöhnliche politische Gesundheit mitzutrinken. Dies war so, wie es scheint, die Verordnung des Herrn Western; denn er hatte zum Sprichwort: die Weiber müßten mit der ersten Schüssel hereinkommen und nach dem ersten Glase wieder hinausgehen. Diesem Befehle Gehorsam zu leisten, mochte der guten Ehefrau eben wohl nicht schwer [304] sein; denn das Tischgespräch (wenn man's Gespräch nennen kann)
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