Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Pferde mietete und sich auf den Weg nach Bristol begab, um ihn ins Werk zu setzen.
Allein bevor wir ihn auf dieser Reise begleiten, wollen wir ein wenig nach Herrn Westerns Hause zurückkehren und sehen wie es der reizenden Sophie weiter erging.
Drittes Kapitel.
Enthält verschiedene Unterredungen.
An dem Morgen, an welchem Jones abreiste, ließen Ihro Gnaden, Fräulein von Western, ihre Nichte Sophie in ihr Gemach zu sich rufen; und nachdem sie solcher vorerst bekannt gemacht, wie sie ihre Freiheit von ihrem Vater erhalten hätten, begannen dieselben ihr eine lange Vorlesung über allerlei Materien des Ehestandes zu halten. Ihro Gnaden behandelten die Sache nicht wie ein romantisches Projekt der Glückseligkeit, welche, nach poetischer Sage, die Liebe gewähren soll. Ebensowenig erwähnten dieselben irgend einen von jenen Endzwecken, für welche, wie die Geistlichkeit uns den Ehestand betrachten lehrt, der Ehestand im Paradies eingesetzt worden; sie betrachteten solche vielmehr als eine Leibrenten-Lotterie, in welcher kluge Frauenzimmer ihr Vermögen am vorteilhaftesten anlegen, um hier davon größere Interessen zu ziehen, als sie davon auf sonst irgend eine Weise erhalten könnten.
Als Ihro Gnaden mit ihrer wohlbegründeten Rede zu Ende gediehen waren, antwortete Sophie: »Sie wäre unvermögend, einer Dame von ihrer gnädigen Tante vorzüglichen Kenntnissen und Erfahrung, Gegengründe anzuführen; besonders über eine Sache, über welche sie bisher so wenig nachgedacht hätte, als über den Ehestand.«
»Gegengründe mir? Kind!« versetzte die andere, »wirklich, ich erwartete keine von dir. Gewiß, ich müßte viel weniger von der Welt, und mit viel geringerem Nutzen gesehen haben, wenn ich von einem Kinde von deinen Jahren Gegengründe anhören sollte. Ich habe mich dieser Mühe unterzogen, um dich zu belehren und zu [298] unterrichten. Die alten Philosophen, Sokrates, Alcibiades und andere zum Exempel, waren auch nicht gewohnt, sich mit ihren Schülern aufs disputieren einzulassen. Du mußt mich ansehen,
mon enfant,
als den Sokrates; nicht, als ob ich dich um deine Meinung fragte, sondern daß ich dich von der meinigen belehre.« Aus diesen letzten Worten mag vielleicht der Leser schließen, daß sie ebensowenig von der Philosophie des Sokrates, als von den Schriften des Alcibiades gelesen habe. Und wirklich finden wir uns nicht im stande, ihm diesen Zweifelsknoten zu lösen.
»Gnädige Tante,« erwiderte Sophie, »ich habe mich nie unterfangen, irgend eine Ihrer Meinungen zu bestreiten, und über diese Sache habe ich, wie schon gesagt, noch niemals nachgedacht und werde auch vielleicht niemals darüber nachdenken.«
»In der That, Sophie!« versetzte die Tante, »diese deine Verstellung gegen mich ist sehr thöricht. Ebensoleicht würde mich der Kriegsminister unsres Feindes überreden, daß er fremde Städte wegnehmen lasse, bloß um sein eigenes Land zu decken, als du mir weißmachen kannst, zu glauben, du hättest noch niemals über den Ehestand ernsthaft nachgedacht. Wie,
mon enfant,
kannst du dich so verstellen und leugnen, du habest niemals darauf gedacht, eine
Alliance
zu schließen, da du doch so gut weißt, daß mir die
Puissance
bekannt ist, mit der du sie so gerne schließen möchtest? Eine
Alliance,
die so widernatürlich und so sehr gegen dein Interesse wäre, als ein Separat-Friede mit Frankreich gegen das Interesse der Holländer sein würde! Inzwischen, wenn du diese Materie bisher noch nicht in Betrachtung gezogen hast, so versichere ich dir, ist es dazu jetzt die höchste Zeit; denn
mon frère
ist entschlossen, die Traktate unverzüglich mit Junker Blifil zu schließen, und in der That bin ich bei der Affaire eine Art von
Garantée
und habe deinen Beitritt versprochen.«
»In der That, gnädigste Tante,« rief Sophie, »dies ist die einzige Sache, in welcher ich sowohl Ihnen, als meinem Vater, ungehorsam sein muß. Denn dieses ist eine Verbindung, bei der es mir sehr wenig Ueberlegung kostet, um sie auszuschlagen.«
»Wäre ich nicht eine ebensogroße Philosophin, als Sokrates selbst,« antwortete Ihro Gnaden, Fräulein von Western, »so könntest du meine Geduld besiegen! Was für Einwendungen könntest du wohl gegen diesen jungen Herrn haben?«
»Eine sehr triftige, nach meiner Meinung,« sagte Sophie, – »ich hasse ihn.«
»Wirst du denn niemals einen richtigen Gebrauch von deinen Worten machen lernen?« antwortete die Tante. »Wirklich, du solltest Bayle's Diktionär zu
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