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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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mon enfant.
Du kannst [299] unmöglich einen Mann hassen, der dir keine Beleidigung zugefügt hat. Unter Hassen verstehst du also nichts weiter, als nicht lieben, und das ist keine hinlängliche Einwendung dagegen, ihn zu heiraten. Ich habe manches Ehepaar gekannt, die sich ganz und gar nicht liebten und dennoch ein ganz gemächliches, sehr höfliches Leben miteinander führten. Glaub' es mir, Kind, ich verstehe diese Sachen besser als du. Du wirst mir nicht ableugnen, hoff' ich, daß ich die Welt gesehen habe, und ich habe darin nicht eine einzige Bekannte, welche es nicht lieber sähe, daß man von ihr dächte, sie möchte ihren Mann nicht leiden, als daß sie ihn lieb hätte. Das Gegenteil ist ein solcher altfränkischer, romanhafter Unsinn, daß einem schon übel wird, wenn man nur daran denkt.«
    »In der That, gnädigste Tante,« erwiderte Sophie, »ich werde niemals einen Mann heiraten, den ich nicht lieben oder leiden kann. Wenn ich meinem Vater verspreche, daß ich niemals in eine Heirat willigen will, die
seiner
Neigung zuwider ist, so glaube ich, darf ich hoffen, er werde mich niemals zu diesem Stande zwingen mit jemand, der wider die meinige ist.«
    »Neigung!« schrie die Tante mit einiger Hitze, »Neigung! Ich erstaune über deine Verwegenheit! Ein junges Fräulein von deinem Alter und unverheiratet kann von Neigungen sprechen? Aber Neigungen hin, Neigungen her!
Mon frère
ist entschlossen, und nun ja, weil du von Neigung sprichst, will ich ihm zuraten, die Traktate zu beschleunigen. Neigung!
Voyez-donc!
« –
    Hier warf sich Sophie auf ihre Kniee, und die Thränen begannen ihr aus den glänzenden Augen zu rinnen. Sie bat und beschwor ihre Tante: »Sie möchte sich ihrer erbarmen und ihren Widerwillen nicht so ungnädig grausam dadurch bestrafen, daß sie sie völlig elend machte; und gab ihr oft zu bedenken, daß es ja nur auf ihre eigene persönliche Glückseligkeit dabei ankäme.«
    So wie ein Wettknecht, wenn er in voller Macht seines Freizettels sich der Person eines unglücklichen nicht pfandbaren Schuldners bemächtigt hat, alle seine Thränen mit unbewegtem Herzen ansieht; vergebens versucht's der jammervolle Gefangene, sein Mitleid zu erregen; vergebens nennt er das zärtliche, ihres Gatten beraubte Weib, den kleinen, stammelnden Knaben, oder das erschrockene Mägdlein, um ihn zur Nachsicht zu bewegen: der edle Pfahl der Gerechtigkeit ist blind und taub gegen jeden Umstand der höchsten Not, hoch ragt er hervor über alles, was Menschlichkeit heißt, und fest ist bei ihm Entschluß und That; er wandelt mit ihm hin zum Gefängnis, wo er verschmachten oder seine Gläubiger bezahlen muß.
    Nicht weniger blind gegen die Zähren, nicht weniger taub gegen jedes Flehen Sophiens war die politische Tante, und nicht [300] weniger fest entschlossen war sie, das zitternde Fräulein in die Arme des Kerkermeisters Blifil zu liefern. Sie antwortete mit großer Heftigkeit: »So wenig kommt's hier auf das Fräulein allein an, daß das, was sie betrifft, das wenigste, wenigstens das wenigstwichtige ist. Auf die Ehre deiner Familie, auf diese kommt's an bei dieser
Alliance!
Du bist dabei bloß Werkzeug. Meinst du,
petite Demoiselle,
daß bei einer Vermählung unter Königreichen, wenn zum Exempel eine
Madame de France
an Spanien verlobt wird, auf die Prinzessin bei einer solchen Verbindung allein gesehen wird? Nein, es ist ein Bündnis zwischen zwei Königreichen vielmehr, als zwischen zwei Personen. Und das ist derselbe Fall mit großen Familien, wie die unsrige. Die
Alliance
unter den Familien ist die Hauptsache. Es geziemt dir, mehr auf die Ehre deiner Familie zu achten, als auf deine eigene Person; und wenn das Beispiel einer Prinzessin dir diese erhabene Art zu denken nicht einflößen kann, so darfst du es sicherlich nicht übelnehmen, wenn man dich nicht ärger behandelt, als alle Prinzessinnen behandelt werden.«
    »Ich hoffe, meine gnädige Tante,« erwiderte Sophie mit etwas erhobener Stimme, »ich werde niemals etwas thun, was meine Familie entehren könnte! Was aber Herrn Blifil anbelangt, so ist mein Entschluß gegen ihn unbeweglich, und es entstehe nun daraus, was da wolle, so soll mich keine Gewalt zwingen, mich für ihn zu erklären.«
    Western, welcher den größten Teil des vorstehenden Dialogs von fern mit angehört hatte, war nun mit aller seiner Geduld zu Ende gekommen. Er stürzte also mit heftigem Zorne ins Zimmer und schrie: »Teufel hol, wenn 'n nich' haben sollst! Teufel

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