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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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anzukleiden. Zu diesem Ende schloß er seinen Mantelsack auf und nahm reine Wäsche heraus und ein ganzes Kleid; vorher aber warf er einen Frack über und ging hinunter in die Küche, um etwas zu bestellen, welches einen gewissen Tumult befriedigen könnte, den er in seinem Magen entstehen fühlte.
    Da die Wirtin ihm begegnete, redete er sie mit großer Freundlichkeit an und fragte, was er zum Mittagessen haben könnte? – [73] »Zum Mittagessen!« sagte sie, »'s ist eine sonderliche Zeit am Tage, ans Mittagessen zu gedenken, und das Feuer wird wohl auch ausgegangen sein.« – »Mag sein!« antwortete er; »aber ich muß etwas zu essen haben, und es ist mir ganz einerlei, was es ist; denn Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich bin in meinem Leben noch nicht so hungrig gewesen.« – »Nun denn,« sagte sie, »ich glaube, da steht noch ein Stück kalt Rindfleisch mit Karotten, das wird es Ihnen ja wohl thun!« – »Vortrefflich!« antwortete Jones, »aber Sie würden mir einen Gefallen thun, wenn Sie's ein wenig in die Pfanne schneiden wollten!« welches die Wirtin zu thun versprach und dabei lächelnd sagte, es wäre ihr lieb, ihn wieder so wohl zu sehn; denn die Freundlichkeit im Betragen unsres Helden war fast unwiderstehlich, überdem war auch sie im Grunde wirklich kein mürrisches Frauenzimmer, aber sie liebte dermaßen das Geld, daß sie alles in der Welt haßte, was nur den Schein von Armut hatte.
    Jones ging nun wieder hinauf, um sich anzukleiden, derweile das Essen fertig gemacht wurde, und es stellte sich auf sein Verlangen ein Bader oder Bartscherer bei ihm ein. Dieser Bader, welchen man den kleinen Benjamin hieß, war ein launiger Kerl, voller närrischen Einfälle, welche ihm sehr häufig kleine Verlegenheiten zugezogen hatten, dergleichen als Nasenstieber, Fußtritte, gebrochene Gliedmaßen und so weiter; denn alle Menschen verstehen nicht allemal Spaß und die, welche Spaß verstehen, nehmen's zuweilen ein wenig übel, wenn er auf sie selbst geht. Von diesem Laster war er aber nun einmal nicht zu heilen. Und obgleich oft seine Haut und Knochen dabei zu kurz gekommen waren, so mußte er doch jeden kurzweiligen Einfall, womit ihn sein Witz schwängerte, ohne Gnade zur Welt bringen, ohne die geringste Rücksicht auf Personen, Zeit oder Ort.
    Er hatte noch viel mehr andere Besonderheiten in seinem Charakter, deren ich nicht erwähnen will, weil solche der Leser bei seiner fernern Bekanntschaft mit diesem außerordentlichen Manne gar leicht von selbst bemerken wird.
    Jones, der aus einer Ursache, die man sich leicht einbilden kann, sehr ungeduldig war, mit dem Ankleiden fertig zu werden, meinte, der Bartscherer ginge sehr zauderhaft mit seinem Seifenschäumen zu Werke, und bat ihn, er möchte sich ein wenig fördern. Worauf der andre sehr gravitätisch antwortete (denn er hatte noch niemalen über irgend Etwas seine Gesichtsmuskeln verzogen): »
Festina lente
ist ein Sprichwort, das ich bereits lange vorher gelernt habe, eh' ich noch ein Schermesser anrührte.« – »Ich sehe, mein Freund, Sie sind ein Litteratus!« erwiderte Jones. – »Will nicht viel sagen,« versetzte der Bader,
»non omnia possumus omnes!«
[74] – »Noch mehr?« sagte Jones. – »Ich glaube, Herr, Sie wissen auch Ihren lateinischen Vers zu skandieren!« – »Verzeihen Sie mir, mein Herr,« sagte der Bader,
»non tanto me dignor honore,«
und damit ging er an seine Operation. »Mein Herr,« sagte er, »solange ich mich mit Seifenschaumschlagen abgebe, hab' ich niemals mehr als zwei Ursachen fürs Bartscheren ausfindig machen können, wovon die eine ist, einen Bart zu bekommen, und die andre, des Bartes ledig zu werden. Wenn ich recht urteile, mein Herr, so mag's wohl noch nicht lange her sein, daß Sie sich aus der ersten von diesen Ursachen haben rasieren lassen; auf mein Wort aber, es ist Ihnen sonderlich geglückt, denn man kann mit Recht von Ihrem Barte sagen, er sei
tondenti gravior.
« »Wenn ich nicht unrecht urteile,« sagte Jones, »so ist der Herr ein sehr komischer Kauz!« – »Sie haben sehr weit neben weggegriffen. Ich habe mich viel zu viel aufs Studium der Philosophie gelegt.
Hinc illae lacrymae,
mein Herr, darin liegt mein Unglück! Zu viele Wissenschaft hat mich ins Verderben gestürzt.« – »Wirklich?« sagte Jones. »Ich gesteh', mein Freund, Sie besitzen mehr Wissenschaft, als gewöhnlich zu Ihrem Gewerbe gehört. Ich kann aber nicht absehen, wie's Ihnen Schaden gebracht haben kann.« – »Ach leider! mein

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