Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Herr,« antwortete der Bartputzer, »sie war schuld, daß mich mein Vater enterbte. Er war ein Tanzmeister; und, weil ich eher lesen als tanzen konnte, faßte er einen Haß gegen mich und verteilte alles, was er hatte, unter seine übrigen Kinder. – Befehlen Sie, daß ich Ihnen den Backenbart – holla, ich bitte um Vergebung, mich dünkt, da ist
hiatus in manuscriptis!
Ich hörte, Sie wollten in den Krieg gehen; aber, wie ich sehe, muß das wohl ein Irrtum sein.« – »Woher schließen Sie das?« sagte Jones. – »Nun, mein Herr,« antwortete der Barbier, »Sie sind ein zu weiser Mann, einen verwundeten Kopf dahin zu tragen; denn das wäre ja eben so viel, als trügen Sie Wasser ins Weltmeer.«
»Auf mein Wort,« sagte Jones, »der Herr ist ein spaßhafter Mann, und mir gefallen seine Einfälle ganz außerordentlich. Es soll mir lieb sein, wenn der Herr nach dem Essen zu mir kommen, und ein Glas Wein mit mir trinken will; ich möchte gern mit dem Herrn näher bekannt werden.«
»Ach, mein liebster Herr,« sagte der Bader, »ich könnte Ihnen wohl einen zwanzigmal größern Gefallen thun, wenn Sie ihn annehmen wollen.«
»Der wäre, mein Freund?« rief Jones. »Ei nun! ich will eine ganze Flasche mit Ihnen trinken, wenn Sie befehlen. Denn ich habe ein gutes Herz außerordentlich lieb; und da Sie es ausfindig gemacht haben, daß ich ein komischer Kauz bin, so will ich [75] Verzicht auf alle meine physiognomischen Kenntnisse thun, wenn Sie nicht einer der gutherzigsten Herren auf Gottes weitem Erdboden sind.« Jones ging nunmehr ganz reinlich angekleidet hinunter, und vielleicht war der berühmte Adonis nicht von liebenswürdigerer Gestalt; und dennoch hatte er keine Reize für unsre Frau Wirtin: denn so wie diese gute Frau in ihrer Person nicht die geringste Aehnlichkeit mit der Venus hatte, so hatte sie auch keine mit ihr im Geschmack. Glücklich wäre es für die Liesel, ihr Stubenmädchen, gewesen, wenn sie mit den Augen ihrer gebietenden Frau gesehen hätte; denn die arme Dirne war innerhalb fünf Minuten in unsern Jones so verliebt, daß ihr diese Leidenschaft nachher manchen Seufzer kostete. Diese Liesel war außerordentlich hübsch und fast eben so spröde; denn sie hatte einen Kellner ausgeschlagen, und einen oder zwei junge Pächter aus der Nachbarschaft. Aber die feurigen Augen unsres Helden tauten ihr Eis in einem Augenblick auf.
Als Jones wieder in die Küche kam, war für ihn noch kein Tischtuch aufgelegt; und wirklich war es auch nicht nötig, da das, was er essen sollte, noch
in statu quo
war, ebenso wie das Feuer, wobei es zubereitet werden sollte. Diese fehlgeschlagene Erwartung hätte manches philosophische Gemüt zum Zorne reizen können; auf unsern Jones that sie aber diese Wirkung nicht. Er gab bloß der Wirtin damit einen sanften Verweis, daß er sagte: weil es denn so schwer wäre, das Fleisch aufzuwärmen, so wolle er's lieber kalt essen. Nun aber fing die gute Frau an, ich weiß nicht, war es aus Mitleiden, oder aus Scham, oder aus sonst einer andern Ursache, ihre Bedienten nach der Reihe herum auszuschelten; warum sie nicht gethan hätten, was sie ihnen (niemals) befohlen; und darauf befahl sie dem Kellner, er solle in der Sonne den Tisch decken, machte sich selbst in vollem Ernst ans Werk und brachte das Gericht bald zu stande.
Diese Sonne, wohin jetzt Jones geführt ward, hatte wirklich den Namen, wie Lucas
a non lucendo.
Denn es war ein Zimmer, in welches die Sonne fast niemals einen Blick gethan hatte. Es war in der That das dunkelste Zimmer im ganzen Hause, und ein Glück für Jones, daß es das war. Indessen war er jetzt viel zu hungrig, um etwas schlecht zu finden. Allein, nachdem er einmal seinen Hunger gestillt hatte, befahl er dem Kellner, ihm eine Bouteille Wein in ein besser Zimmer zu bringen, und ließ sich ein wenig seinen Verdruß darüber merken, daß man ihn in ein solches Loch geführt hätte.
Nachdem der Kellner seinen Befehl ausgerichtet hatte, machte ihm bald darauf der Bader seine Aufwartung, welcher ihn wirklich nicht so lange auf seine Gesellschaft würde haben warten lassen, [76] hätte er nicht in der Küche der Wirtin ein wenig zugehört, welche daselbst einen Zirkel, den sie um sich her versammelt hatte, mit der Geschichte des armen Jones unterhielt, die sie teils aus seinen eigenen Lippen gezogen, und teils nach ihrer eigenen sinnreichen Erfindung zusammengesetzt hatte. Denn sie sagte: Es wäre ein armes Spittelkind, das Junker Alwerth ins Haus genommen
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