Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Alwerth seinen Bruder abmalte, solchem sein eigenes Verschulden um so viel größer erscheinen müsse und sein Zorn, wie er Ursache hatte sich einzubilden, um so heftiger sein würde.
Er gab also Geschäfte vor als eine Entschuldigung seiner Abreise und versprach, bald wieder zu kommen, und nahm mit so viel verstellter Freundlichkeit von seinem Bruder Abschied, daß, weil der Kapitän seine Rolle ebenso meisterhaft spielte, Alwerth an der Aufrichtigkeit ihrer Versöhnung nicht im geringsten zweifelte.
Der Doktor reiste geradenwegs nach London, woselbst er bald darauf an heimlichem Kummer starb; eine Krankheit, welche weit mehr Menschen wegrafft, als man insgemein glaubt, und einen gegründeten Anspruch auf eine Rubrik in den Sterbelisten hätte, wenn sie sich nicht durch einen Umstand von allen andern Krankheiten unterschiede, dadurch nämlich, daß kein Arzt sie heilen kann.
Jetzt, nachdem ich das vorherige Leben beider Brüder aufs fleißigste erforscht habe, finde ich, außer der oben angezeigten verdammten und höllischen Maxime der Politik, noch eine andere Ursache für die Aufführung des Kapitäns. Der Kapitän war neben dem, was wir vorher von ihm sagten, ein Mann von großem Stolz und Trotze, und hatte seinem Bruder, der von einer entgegengesetzten Gemütsart war und dem es sehr an jenen beiden Eigenschaften fehlte, beständig mit einem gebieterischen Wesen begegnet. Der Doktor besaß indessen weit mehr Gelehrsamkeit und stand bei vielen im Rufe eines bessern Verstandes. Dies wußte der Kapitän [52] und konnte es nicht ausstehen. Denn obgleich der Neid an sich selbst schon eine sehr nagende Leidenschaft ist, so wird doch seine Bitterkeit um gar vieles geschärft, wenn sich noch Verachtung gegen den beneideten Gegenstand dazu mischt; und ich fürchte, kommt noch gar zu diesen beiden eine empfangene Wohlthat hinzu, so wird Haß und nicht Dankbarkeit das Produkt von allen dreien sein.
Zweites Buch.
Enthält Gemälde von ehelicher Glückseligkeit in verschiedenen Ständen des Lebens und mancherlei andere Begebenheiten während der beiden ersten Jahre der Ehe zwischen Herrn Kapitän Blifil und dem ehemaligen Fräulein Brigitta Alwerth.
Erstes Kapitel.
Stellt dar, was für eine Art von Geschichte die gegenwärtige ist: womit man sie vergleichen kann und womit nicht.
Obwohl wir dieses unser Werk mit geziemender Zierlichkeit
Geschichte
betitelt haben und nicht
Leben und Thaten,
oder
Leben und Meinungen,
wiewohl mehr die Mode ist: so sind wir dennoch gesonnen, vielmehr der Weise jener Schriftsteller zu folgen, welcher Thun es ist, die großen Begebenheiten von Ländern und Reichen zu beschreiben, als es dem mühseligen und bändereichen Annalisten nachzumachen, welcher, um die regelmäßige Länge und Breite seiner
Chronika
beizubehalten, sich notgedrungen glaubt, ebensoviel Papier mit den geringfügigen Kleinigkeiten von Monaten und Tagen zu beschreiben, in welchen nichts Merkwürdiges vorgefallen ist, als er zu jenen wichtigen Zeitläufen braucht, in welchen die größesten Auftritte auf dem Tummelplatze des menschlichen Lebens vorgefallen sind.
Solche Geschichten sind nach ihrem Wesen sehr gut mit einer Zeitung zu vergleichen, welche so ungefähr allemal dieselbe Anzahl Worte enthält, es mag etwas darin stehen oder nicht. Man kann sie auch ebenfalls mit einem Postwagen ins Gleichnis setzen, welcher beständig den Weg her macht und wieder hin, er sei leer oder beladen. Der Geschichtschreiber scheint freilich zu denken, er müsse gleichen Schritt halten mit der Zeit, deren Amanuensis [53] er ist, und so schleicht er ebenso leise, wie seine Herrschaft, durch die Centurien von Mönchsstumpfheit, da die Welt im Schlafe zu liegen schien, als durch jenes glänzende thatenschwangere Zeitalter, welches der vortreffliche lateinische Dichter auf eine so edle Weise auszeichnet, wenn er davon sagt:
»Ad confligendum venientibus undique Poenis;
Omnia cum belli trepido concussa tumultu
Horrida contremuere sub altis aetheris aures
In dubioque fuit sub utrorum regna cadendum
Omnibus humanis esset, terraque marique.«
Von welchen Versen ich dem Leser eine bessere Uebersetzung zu geben wünschte, als die folgende:
Als er herannahte der fürchterliche Kampf
Um die Herrschaft über die Meer' und die Erde;
Die Welt erbebt' und zittert' ob dem Getös' und Getümmel
Des unglückschwangeren Kriegs: Jedes Herz schneller pochte
Vor ängstlichem Erharren der furchtbaren Entscheidung:
Welches Reich
Weitere Kostenlose Bücher