Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Herr, mit verdoppelter Andringlichkeit, sie möchte ihm doch getreue Nachricht geben, und sagte, er habe sein Weib verloren und wäre gekommen, ihr nachzusetzen. »Bei meiner Seel',« sagte er, »an zwei oder drei Orten hab' ich sie auf ein Haar noch ertappt, [183] wenn ich nicht gefunden hätte, daß sie fortgereist wär', gerade eben da ich sie antraf.«
»Wenn sie hier im Hause ist, so thu' mir den Gefallen und führ' mich im Finstern zu ihr hinauf und zeig' sie mir, und wenn sie schon wieder weg ist, ehe ich gekommen bin, so sei so gut und sag' mir, auf welchem Wege ich ihr nachsetzen soll, um ihr zu begegnen? Und, bei meiner Seele! ich will dich zum reichsten armen Stubenmädchen in der ganzen Nation machen.« Bei diesen Worten zog er eine Handvoll Goldstücke heraus; ein Anblick, welcher wohl Leute von viel größerem Gewicht als diese arme Dirne, und zu weit schlimmeren Endzwecken hätte bestechen mögen.
Nach Beschaffenheit der Nachricht, welche das Mädchen von Madame Waters gehört hatte, zweifelte Susanne im geringsten nicht, sie müßte wohl der rechte verlorene Groschen sein, den sein wahrer Eigentümer wieder suchte. Da sie nun mit großem Anscheine von Vernunft den Schluß machte, sie könne in ihrem Leben auf keine ehrlichere Weise Geld verdienen als dadurch, wenn sie die Frau ihrem Ehemanne wieder einlieferte, so machte sie sich kein Bedenken, den Herrn zu versichern, die Dame, welche er suchte, sei gegenwärtig im Hause, und ließ sich hierauf (durch sehr freigebige Versprechungen und eine Kleinigkeit im voraus bar auf die Hand) ohne weiteres bereden, ihn nach der Schlafkammer der Madame Waters hinaufzuführen.
Schon seit langen Zeiten ist in der gesitteten vornehmen Welt, und zwar aus sehr wesentlichen Ursachen der Brauch eingeführt worden, daß ein Ehemann niemals in das Zimmer seiner Gemahlin treten darf, ohne vorher an die Thüre zu pochen. Der vielfältige und vortreffliche Nutzen dieses Brauchs darf dem Leser, welcher nur einige Weltkenntnis besitzt, wohl eben nicht hier erst auseinandergesetzt werden, denn vermittelst desselben hat die Frau Gemahlin Zeit, sich in gehörige wohlanständige Verfassung zu setzen, oder irgend einen, ihrem Herrn Gemahl mißfälligen Gegenstand aus dem Wege zu schaffen, denn es gibt so gewisse Lagen, in welchen zart und sittsam erzogene Damen sich nicht gerne von ihren Eheherrn mögen überraschen lassen.
Die Wahrheit zu gestehen sind bei dem feiner gesitteten Teile der Menschen verschiedene Zeremonien eingeführt, welche, ungeachtet solche von denen von roherer Denkungsart für bloße Formalitäten angesehen werden mögen, dennoch von denen, welche tiefer in die Sache sehen, als etwas sehr Wesentliches befunden werden. Und sehr glücklich wär' es gewesen, wenn der obenerwähnte Brauch von unsrem irländischen Herrn im gegenwärtigen Fall wäre beobachtet worden. An die Thüre pochte er zwar, aber nicht mit dem artigen Klopfen, [184] welches bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist. Er flog vielmehr, als er das Schloß abgedrückt fand, mit einer solchen Gewaltsamkeit gegen die Thüre, daß das Schloß davon augenblicklich aufsprang, die Thüre sich sperrweit öffnete und er der Länge nach in die Kammer fiel.
Er hatte sich kaum wieder auf die Beine gerafft, als aus dem Bette her, gleichfalls auf den Beinen – mit Leidwesen und Beschämung sehen wir uns genötigt, das weitere zu sagen – unser Held in eigner Person erschien, welcher mit dräuender Stimme den fremden Herrn fragte, wer er sei und was er damit meinte, daß er sich erdreiste, so tollkühnerweise in seine Schlafkammer zu brechen?
Der irländische Herr meinte anfangs, er habe die rechte Thüre verfehlt und stand im Begriff, um Verzeihung zu bitten und wegzugehen, als auf einmal, weil der Mond sehr helle schien, seine Augen auf einen Schnürleib, Weiber-, Ober- und Unterröcke, Hauben, Bänder, Strümpfe, Strumpfbänder und Schuhe u.s.w. fielen, welches alles in bester Unordnung auf dem Fußboden umhergeworfen lag. Alle diese Dinge wirkten auf die natürliche Eifersucht seines Gemüts so heftig und setzten ihn dergestalt in Wut, daß er weiter kein verständliches Wort hervorbringen konnte und, ohne dem Herrn Jones eine Silbe zu antworten, sich dem Bette zu nähern trachtete.
Da solches Herr Jones keineswegs leiden wollte, so ging es an ein hitziges Balgen und Ringen, welches bald wackere Püffe auf beiden Seiten hervorbrachte. Und nunmehr begann Madame Waters, (denn wir müssen's nur
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