Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
eigensinnig. Denn in der That hatten sie und ihr Lehrer seit einiger Zeit öfter über literarische Dinge disputirt, worin sie, wie bereits gesagt, ihm sehr überlegen geworden war. Dies wollte er indessen keinesweges zugeben, und weil er es Eigensinn nannte, wenn sie das behauptete, worin sie recht hatte; so begann er sie so ziemlich aufrichtig zu hassen.
[61] Viertes Kapitel.
Beschreibung einer der blutigsten Schlachten oder vielmehr Zweikämpfe, die nur jemals in Hausgeschichten auf die Nachwelt gebracht worden.
Aus den im vorigen Kapitel beigebrachten Gründen und wegen andrer ehelichen Vorteile, welche den meisten Ehegenossen wohl bekannt sind und die gleich den Geheimnissen der Freimaurer niemand bekannt gemacht werden sollten, der nicht von der hochlöblichen Brüderschaft Mitglied ist: war Frau Rebhuhn darüber gar wohlgemut, daß sie ihren Eheschatz unschuldigerweise verdammt hatte, und gab sich Mühe, ihren falschen Verdacht durch Liebesbezeigungen wieder gut zu machen. Ihre Leidenschaften waren wirklich gleich heftig, wohin sie auch gerichtet sein mochten; denn, wie sie sehr heftig zürnen konnte, so konnte sie auch fast ebenso heftig lieben.
Allein, obgleich diese Leidenschaften gewöhnlich einander ablösten und selten einmal vierundzwanzig Stunden hingingen, während welcher der Pädagog nicht gewissermaßen der Gegenstand von beiden gewesen; so war doch bei außerordentlichen Gelegenheiten, wenn die Leidenschaft des Zorns sehr arg getobt hatte, der Nachlaß gewöhnlich länger, und so war gegenwärtig der Fall: denn sie beharrte länger in einem Stande milder Freundlichkeit, nachdem dieser Anfall von Eifersucht vorüber war, als ihr Ehegemahl jemals erlebt hatte. Und wär es nicht bloß wegen einiger kleinen Uebungen gewesen, wozu alle Anhänger der Xanthippischen Sekte täglich verbunden sind, so hätte Herr Rebhuhn einige Monate hindurch einer vollkommen heitern Stille genossen.
Völlige Stille zur See wird von erfahrnen Seemännern allemal für einen Vorboten des Sturms geachtet: und ich kenne einige Leute, die, ohne eben durchgängig am Aberglauben zu hängen, zu besorgen geneigt sind, daß große und ungewöhnliche Ruhe und langer Frieden Vorläufer von ihrem Gegenteile sind. Aus dieser Ursache hatten die Alten bei solchen Gelegenheiten die Gewohnheit, der Göttin Nemesis zu opfern: eine Göttin, welche nach ihrer Meinung mit einem neidischen Auge auf menschliche Glückseligkeit herabsähe und in ihrer Vernichtung ein ganz eigenes Behagen fände.
Da wir weit entfernt sind, an irgend eine solche heidnische Gottheit zu glauben oder irgend jemand in seinem Aberglauben zu bestärken, so wünschen wir, daß irgend ein haarscharfer Philosoph sich ein wenig Mühe geben wollte, die Grundursache dieses schnellen Uebergangs vom Glück zum Unglück heraus zu demonstrieren. Ein Uebergang, der so oft bemerkt worden und wovon wir ein Beispiel [62] zu geben im Begriff stehen; denn unser Geschäft ist, Thatsachen zu erzählen, und die Ursachen müssen wir Männern von viel höherm und tiefern Genie überlassen.
Die Menschenkinder haben von jeher ein großes Vergnügen darin gefunden, das Thun und Lassen anderer zu wissen und zu untersuchen. Daher hat man zu allen Zeiten und unter allen Völkern gewisse Plätze für öffentliche Zusammenkünfte ausgesonnen, woselbst die Neubegierigen zusammenkommen und ihre gegenseitige Neugier befriedigen könnten. Unter diesen haben die Barbierstuben mit Recht den Vorzug gewonnen. Bei den Griechen war Barbierzeitung ein sprichwörtlicher Ausdruck und Horaz thut in einer von seinen Episteln von römischen Barbieren in eben dem Lichte sehr ehrenvolle Erwähnung.
Die Barbierer in England sind dafür bekannt, daß sie ihren griechischen und römischen Vorgängern nichts nachgeben. Man sieht bei ihnen die auswärtigen Affairen auf eine Art ausmachen, welche der, womit solche in den Kaffeehäusern behandelt werden, fast sehr nahe kommt, und häusliche Vorfälle werden in den ersten weit umständlicher und freimütiger vorgenommen als in den letztern. Doch diese Oerter sind eigentlich nur für Mannspersonen. Da nun aber das Frauenzimmer dieses Landes von den niedern Klassen sich häufiger zu einander gesellt als das von andern Nationen, so wäre unsere Polizei höchst fehlerhaft gewesen, hätte sie nicht gleichfalls einige Oerter festgesetzt, wo unsere Weiblein für ihre Neugier Nahrung finden können, da man sieht, daß sie in diesem Punkte nicht weniger Bedürfnisse haben
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