Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
der stellt sich oft ein bei der geringsten Veranlassung, und wenn man's am wenigsten vermutet.
So überfiel es die Frau Rebhuhn, welche es sich vier Jahre hindurch hatte gefallen lassen, daß ihr Ehemann der jungen Dirne Unterricht gebe, und ihr oft nachgesehen hatte, wie sie ihre Arbeit versäumte, um ihrer Gelehrsamkeit obzuliegen. Denn als sie eines Tages, da das Mädchen eben in einem Buche las und ihr Lehrer über ihr gelehnt stand, vor der Stube vorbeiging und die Dirne, ich weiß nicht warum, plötzlich von ihrem Stuhle aufsprang, war [59] dies zum erstenmale, daß sich in dem Kopfe ihrer Gebieterin ein Verdacht einstellte.
Dieser entdeckte sich gleichwohl nicht sogleich zu der Zeit, sondern lag und lauerte in ihrem Gemüte wie ein versteckter Feind, der eine Verstärkung erwartet, bevor er sich öffentlich erklärt und wirkliche Feindseligkeiten verübt, und diese Verstärkung langte bald an, um ihren Verdacht zu vermehren: denn als nicht lange nachher Mann und Frau beim Mittagessen saßen, sagte der Herr zur Magd:
»Da mihi aliquid Porum,«
worauf die arme Dirne lächelte, vielleicht über das schlechte Latein, und als ihre Hausfrau die Augen auf sie warf, ward sie rot, vermutlich darüber, daß sie es für unrecht hielt, über ihren Lehrer und Herrn gelacht zu haben. Frau Rebhuhn geriet hierüber augenblicklich in Wut und warf den hölzernen Teller, von welchem sie aß, der armen Hanna nach dem Kopfe, wobei sie schrie: »Du unverschämtes Nickel! willst du vor meiner Nase dein Spiel mit meinem Manne treiben?« Und in eben dem Augenblick sprang sie von ihrem Stuhle auf mit einem Messer in der Hand, womit sie vermutlich eine sehr tragische Rache verübt haben würde, hätte nicht das Mädchen den Vorteil benützt, daß sie der Thüre näher war als ihre Herrschaft, und wäre sie nicht ihrer Wut dadurch ausgewichen, daß sie davonlief. Denn der arme Hausvater, sei es nun, daß ihn das Erstaunen erstarrt hatte, oder daß ihn die Furcht (welches ebenso wahrscheinlich ist) abhielt, die geringste Widersetzlichkeit zu wagen, der saß da zitternd und mit aufgesperrten Augen in seinem Stuhle; er machte auch nicht die geringste Miene sich zu regen oder zu sprechen, bis seine Hausehre, als sie von ihrem Nachjagen zurückkam, einige Verteidigungsanstalten zu seiner eignen Erhaltung notwendig machte; und er ebenfalls geraten fand, dem Beispiele der Magd zu folgen und sich zurückzuziehen.
Diese gute Frau war ebensowenig als Othello von einer Stimmung:
–
To make a Life of Jealousy,
And follow still the Changes of the Moon
With fresh suspicions.
(Ein Leben voll Eifersucht zu leben,
Folgen der Wandelbarkeit des Mondes
Mit oft erneutem Verdacht.)
Bei ihr wie bei ihm,
–
To be once in doubt
Was once to be resolved –
(Nur einmal einen Zweifel
Hieß auf einmal ihren Entschluß fassen.)
[60] Sie befahl also der Hanna, auf der Stelle ihre Siebensachen zu packen und sich zu trollen, denn sie wäre entschlossen, sie solle die Nacht nicht mehr unter ihrem Dache schlafen.
Rebhuhn hatte aus Erfahrungen zu viel gelernt, um sich in eine so heikliche Sache zu mischen. Er nahm also Zuflucht zu seinem gewöhnlichen Rezepte: Geduld! denn, ob er freilich wohl nicht ein großer Adept im Latein war, so hatte er doch den Rat ins Herz wie ins Gedächtniß gefaßt, welcher heißt:
–
Leve fit, quod bene fertur Onus.
deutsch: »Die wohlgetragne Last wird leicht.«
Ein Weisheitsbrocken, den er immer im Munde führte, und von dessen Wahrheit er oft, wie man auch nicht leugnen kann, Gelegenheit hatte, sich durch Erfahrung zu überzeugen.
Hannchen wollte ihre Unschuld verteidigen, aber der Sturm brauste zu heftig, um sie Gehör finden zu lassen. Sie machte sich also ans Einpacken, wobei sie nur wenig Makulatur brauchte; und nachdem sie ihren schmalen Bissen von Lohn zugeworfen erhalten hatte, ging sie heim.
Der Schulmonarch und seine Ehehälfte brachten ihren Nachmittag und Abend unangenehm genug hin; vor dem nächsten Morgen aber fiel eins oder das andre vor, welches die Wut der Frau Rebhuhn ein wenig milderte und dem Manne die Erlaubnis bewirkte, seine Entschuldigung vorzubringen: diese fand um so eher Glauben, da er, anstatt zu verlangen, daß sie Hannchen wieder in Dienst nehmen möchte, vielmehr seine Zufriedenheit über ihre Entlassung bezeigte und sagte, sie wäre zu einer Dienstmagd ziemlich untauglich geworden, da sie alle ihre Zeit aufs Lesen verwendet habe, und obendrein wäre sie noch vorlaut und
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