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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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der Ehrerbietung in Mienen und Worten bei Tische aufzuwarten, als er nur hätte thun können, wenn die Damen in einem sechsspännigen Wagen angekommen wären.
    Die verheiratete Dame schien von ihrem eignen Unglücke weniger gerührt zu sein als ihre Kousine; denn die erste aß sehr herzlich, indessen die letzte kaum einen Bissen genießen konnte. Sophie zeigte ebenfalls mehr Leid und Betrübnis auf ihrem Gesichte, als an der andern Dame zu merken war, welche, als sie diese Spuren der Betrübnis an ihrer Freundin wahrgenommen hatte, solche bat, sie möchte gutes Muts sein, und dabei sagte: »Vielleicht nimmt alles noch ein bessres Ende, als weder Sie noch ich erwarten.«
    Unser Herr Gastwirt glaubte, jetzt hab' er eine Gelegenheit gefunden, seinen Mund zu öffnen und war nicht gesonnen, sie ungenützt vorbeigehen zu lassen. »'S thut mir leid, meine gnädigste Dame,« schrie er, »daß Ihro Gnaden nicht essen können, denn nach einem so langen Fasten müssen Hochdieselben doch gewiß hungrig sein. Ich hoffe, Ihro Gnaden haben sich über nicht das geringste [249] zu beunruhigen; denn wie die gnädige Dame da gar wohl sagten: alles kann noch ein bessres Ende nehmen, als wir alle erwarten. Ein Herr, der den Augenblick hier war, brachte gar herrliche Zeitung; und vielleicht kommen gewisse Leute, welche andern gewissen Leuten den Vorsprung abgewonnen haben, früher nach London, ehe sie noch wieder eingeholt werden können; und wenn dem also geschieht, so hab' ich keinen Zweifel, werden sie Personen finden, welche willig und bereit stehen, sie mit vielen Freuden aufzunehmen.«
    Alle Menschen, welche in Besorgnis vor Gefahr stehen, machen alles, was sie sehen und hören, zu Gegenständen der Besorgnis. Sophie schloß also unmittelbar aus der vorbesagten Rede, daß man sie kenne und daß ihr Vater in der Nähe sei. Sie ward daher von großer Angst befallen und auf einige Minuten des Vermögens der Sprache beraubt, welche sie nicht so bald wieder erhielt, als sie den Wirt ersuchte, er möchte seine Bedienten aus dem Zimmer schicken. Als dies geschehen war, richtete sie ihre Rede an ihn und sagte: »Mein lieber Herr Wirt, Sie wissen, wer wir sind; aber ich bitte Sie, und wenn Sie nur einiges Mitleiden und Gutheit haben, werden Sie mir's nicht abschlagen – ich bitte, verraten Sie uns nicht.«
    »Ihro Gnaden verraten! Ich?« sagte der Wirt. »Nein!« und dabei schwur er einige nachdrückliche Eide. »Lieber wollt' ich mich in zehntausend Stücke zerhacken lassen. Ich hasse alle Verräterei auf den Tod. In meinem Leben hab' ich noch niemand verraten und werde doch bei einer so süßen, gnädigen Dame, als Hochdero Gnaden sind, nicht den Anfang machen! Die ganze Welt würde mich aufs ärgste tadeln, wenn ich's thäte, weil's in so kurzem in Hochdero Gnaden Gewalt stehn wird, mich reichlich zu belohnen. Da ist meine Frau, die kann mir's bezeugen, ich kannte Hochdero Gnaden gleich den Augenblick, da Sie ankamen. Ich sagte gleich, daß es Ihro Gnaden wären, noch ehe ich Sie noch einmal vom Pferde gehoben hatte, und ich werde die blauen Flecken, die ich in Höchstdero Gnaden Diensten bekommen habe, mit in mein Grab nehmen. Aber das will nichts sagen, so lang als ich Ihro Gnaden glücklich gerettet habe. Freilich wohl wollten gewisse Leute heute morgen so davon sprechen, daß ein hübscher Lohn zu verdienen stände; aber solche Gedanken sind mir nie in den Kopf gekommen. Ich wollte lieber Hungers sterben, als einen Lohn dafür nehmen, daß ich Ihro Gnaden verriete.«
    »Ich verspreche Ihnen, Herr Wirt,« sagte Sophie, »wenn es jemals in meinem Vermögen stehen wird, Sie zu belohnen, so sollen Sie durch Ihre Großmut nichts verlieren.«
    »Ach lieber Himmel,« antwortete der Wirt, »ob's in Höchstdero [250] Gnaden Vermögen stehen wird? Gebe nur der Himmel Höchstdenenselben dazu ebensoviel Willen! Ich fürchte nur, Höchstdieselben werden einen so armen Mann, als einen Gastwirt, vergessen. Sollten Ihro Gnaden aber das nicht, so hoff' ich, werden Höchstdieselben sich erinnern, was ich für eine Belohnung ausgeschlagen habe – ausgeschlagen! das ist, die ich ausgeschlagen haben würde; und doch kann man's wohl ausschlagen nennen, denn ich hätte sie gewiß haben können; und freilich hätten Ihro Gnaden nur in gewissen Häusern sein dürfen! – Für mein Teil aber, ich möchte sozusagen nicht um die ganze Welt, daß Ihro Gnaden mir ein so großes Unrecht anthäten und glaubten, ich hätte nur mit einem Gedanken dran gedacht,

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