Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
wirklich keine regelmäßige Schönheit, aber sehr angenehm und außerordentlich gefällig im Umgang) wollte er lieber alle Weiber auf Gottes Erdboden zur Hölle begleiten. Dies war so eine von seinen Lieblingsredensarten. Er könne nicht begreifen, sagte er, was ich an ihr fände, daß ich in ihre Gesellschaft so vernarrt wäre. Seitdem das Weib, sagte er, unter uns gekommen ist, hat's mit Ihrem so beliebten Lesen ein Ende, woran Sie nach Ihrem Vorgeben soviel Freude fanden, daß Sie sich nicht so lange Zeit davon abmüßigen konnten, um den Damen in unserer Nachbarschaft ihre Besuche wiederzugeben. Ich muß freilich bekennen, daß ich mir in diesem Stück einige Unhöflichkeit habe zu schulden kommen lassen; denn die vornehmsten Damen dort zu Lande sind nicht besser als hier die Pächtersweiber; und ich denke, Ihnen brauche ich nichts weiter zur Entschuldigung zu sagen, warum ich allen nähern Umgang mit ihnen ablehnte.
Dieser freundschaftliche Umgang dauerte indessen ein ganzes Jahr, das heißt, die ganze Zeit über, da der Leutnant sein Quartier [254] in dem benachbarten Städtchen hatte, und für welchen ich dadurch Kontribution bezahlte, daß mich mein Ehgemahl auf die vorbesagte Weise ohne Unterlaß mißhandelte, wann er nämlich zu Hause war. Denn oft ging er auf einen ganzen Monat nach Dublin, und einmal that er eine Reise nach London, und ich hielt es für ein ganz besondres Glück, daß er auf allen diesen Reisen niemals meine Gesellschaft begehrte; vielmehr gab er mir durch seine häufigen Sticheleien auf solche Männer, die nicht anders reisen könnten, ohne sich, wie er's nennte, das Weib auf die Hocke zu sacken, hinlänglich zu verstehen, daß meine Wünsche vergebens gewesen wären, wenn es mich auch noch so sehr darnach gelüstet hätte, ihn zu begleiten; aber dem Himmel sei Dank, daß ein solches Gelüsten niemals bei mir aufstieg.
Zuletzt ward meine Freundin von mir getrennt; ich sank wieder in meine Einsamkeit zurück, zu der peinlichen Gesellschaft meiner eignen Gedanken, und mußte meinen Trost wieder in Büchern suchen. Jetzt that ich fast den ganzen geschlagnen Tag nichts andres als lesen. Wie manche Bücher glauben Sie wohl, daß ich in drei Monaten durchgelesen habe?« – »Das kann ich schwerlich erraten, liebe Kousine,« antwortete Sophie. – »Vielleicht ein halb Schock!« – »Ein halb Schock? ein halbes Tausend, Kind,« antwortete die andre. – »Ich habe einen großen Teil von Daniels Geschichte von Frankreich, von Plutarchs Leben großer Männer, die Atlantis, den Homer in Versen, Locke vom menschlichen Verstande und von Romanen und Schauspielen alles gelesen, dessen ich nur habhaft werden konnte.
Während dieser Zeit schrieb ich demütige, und wie ich meinte, auch rührende Briefe an meine Tante. Da ich aber auf keinen eine Zeile Antwort erhielt, so wollte mir mein Stolz nicht erlauben, mein Ansuchen noch weiter fortzusetzen.« – Hier hielt sie inne, und indem sie Sophien sehr ernsthaft anblickte, sagte sie: »Mich dünkt, meine Beste, ich lese etwas in Ihren Augen, welches mir eine Nachlässigkeit vorwirft, daß ich mich nicht andern Orts verwendet habe, wo ich eine liebreichere Begegnung erwarten durfte.« – »Ach,« antwortete Sophie, »meine teure Henriette, Ihre Geschichte entschuldigt Sie hinlänglich bei jedem, den Sie vernachlässigt haben könnten. Ich aber empfinde wirklich, daß ich mich einer Vergeßlichkeit schuldig gemacht, für die ich keine so triftige Entschuldigung habe. – Aber ich bitte Sie, fahren Sie fort, denn mich verlangt nach dem Ausgange, ob ich gleich davor zittre.« – Madame Fitz Patrick knüpfte also ihre Erzählung folgendergestalt wieder an: »Mein Mann that jetzt eine zweite Reise nach England, woselbst er sich gegen drei Monate aufhielt. Den größten Teil hindurch führte ich ein Leben, welches durch nichts in der Welt mir hätte erträglich scheinen können, als [255] dadurch, daß ich vorher ein traurigeres geführt hatte; denn wenn sich ein geselliges Gemüt, wie das meinige, in völliger Einsamkeit nicht unglücklich dünken soll, so gehört dazu, daß es sich dadurch von der Gesellschaft solcher Personen befreit sehe, die es haßt. Was noch meinen Jammer vermehrte, war der Verlust meines Kindes; nicht, daß ich eben vorgeben möchte, ich hätte es mit der ausschweifenden Zärtlichkeit geliebt, deren ich, wie ich glaube, unter andern Umständen sehr fähig gewesen sein möchte; aber ich war auf alle Weise entschlossen, die
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