Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Höchstdieselben zu verraten, nicht einmal noch eh ich die gute Zeitung gehört hatte.«
»Was für eine Zeitung? sagen Sie mir doch,« sagte Sophie etwas eilig.
»Haben Hochdero Gnaden sie also noch nicht gehört?« rief der Gastwirt. »Ja nun freilich wohl möglich! denn es sind nur erst ein paar Minuten, daß ich sie gehört habe; und wenn ich sie auch niemals gehört hätte, so soll mich der böse Feind vor Ihren Augen wegholen, wenn ich Ihro Gnaden hätte verraten wollen. Nein, wenn das nicht wahr ist, so will ich –« Hier fügte er noch einige fürchterliche Verwünschungen hinzu, welche Sophie zuletzt unterbrach und zu wissen begehrte, was er mit der guten Zeitung meinte. – Er wollte eben antworten, als Jungfer Honoria ganz blaß und atemlos ins Zimmer gerannt kam und ausschrie. »Gnädigs Fräulein, wir sind alle verloren, sind alle unglücklich! sie sind kommen, sind kommen!« Bei diesen Worten starrte fast alles Blut in Sophiens Adern. Madame Fitz Patrick aber fragte das Mädchen, wer gekommen wäre. – »Wer?« antwortete sie. »Ah, ah, die Franzosen; viele Hunderttausend sind'r ins Land kommen zu Wasser und werden uns alle totschlagen und notzüchtigen.«
Wie ein Geizhals, der in einer wohlgebauten Stadt eine schlechte Hütte besitzt, die wenige Gulden wert ist, wenn er in weiter Entfernung »Feuer!« schreien hört, bleich und blaß wird und vor seinem Verluste zittert, hernach aber findet, daß nur bloß die schönen Paläste abgebrannt sind und seine eigne schlechte Kote unversehrt bleibt, augenblicklich sich wieder erholt und sich lächelnd seines guten Glücks freut: oder wie (denn das vorige Gleichnis will uns nicht so durchaus gefallen) wie eine zärtliche Mutter, wenn sie mit der Nachricht erschreckt wird, ihr geliebtester Knabe sei ertrunken, vor Angst und Kummer gefühllos und fast tot zur Erde sinkt; wenn ihr aber hernach gesagt wird, der kleine Liebling sei außer Gefahr und bloß ein Linienschiff mit zwölfhundert tapfern Männern auf [251] der See versunken, ihr Leben und Empfindungen zurückkehren, die mütterliche Zärtlichkeit sie plötzlich von aller ihrer Angst befreit und das Gefühl des allgemeinen Wohlwollens, welches sich zu einer andern Zeit über das furchtbare Unglück sehr mächtig geregt haben würde, jetzt in ihrer Seele in tiefem Schlafe liegt.
So Sophie. Niemand als sie war fähiger, das allgemeine Elend ihres Vaterlandes zu fühlen; aber so innig war ihre Zufriedenheit, da sie sich von der Angst befreit fand, worin sie schwebte, von ihrem Vater eingeholt zu werden, daß die Ankunft des französischen Kriegsheers kaum den geringsten Eindruck auf sie machte. Mit aller Gelindigkeit verwies sie ihrer Jungfer den Schreck, welchen sie ihr verursacht habe, und sagte: 's wär' ihr lieb, daß es nichts ärgeres wäre, denn sie hätte gefürchtet, es möchte sonst jemand gekommen sein.
»Ja, ja!« antwortete der Wirt mit Schmutzerlachen; »Höchstdero Gnaden haben wohl bessere Nachrichten! Höchstdieselben wissen es wohl, die Franzmänner sind unsre besten Freunde und sind bloß uns zu gute herübergekommen! Es sind eben die rechten Leute, die unser Altengland wieder in Flor bringen wollen. Ich wollte wohl wetten, Hochdero Gnaden meinten, der Herzog wär' im Anmarsch: ja, so was hätte wohl in Furcht jagen können. Ja ich wollt' doch Ihro Gnaden die neue Zeitung erzählen. – Seine prätendentische Majestät, den Gott behüte! haben dem Herzog das Nachsehn gelassen und marschieren mit ihrer Armee so eilig wie sie können auf London zu, und zehntausend Franzmänner sind gelandet, um sich unterwegs mit unsers allergnädigsten Ritters Majestät zu vereinigen.«
Sophie war eben nicht sonderlich vergnügt über diese Nachricht, noch über den wackern Patrioten, der sie erzählte; weil sie sich aber noch immer einbildete, er kenne sie (denn es war ihr nicht wohl möglich, auf die Vermutung der eigentlichen Wahrheit zu fallen), so mochte sie ihn ihren Unwillen nicht merken lassen. Und nachdem nunmehr der Wirt reinen Tisch gemacht, ging er hinweg; beim Abgehn aber wiederholte er noch verschiedenemal seine Hoffnung, man werde einst seiner in höchsten Gnaden gedenken.
Sophiens Vermutung, daß sie hier im Hause bekannt sei, machte ihr nicht wenig Unruhe: denn sie deutete noch immer verschiedene Dinge auf sich, wel che der Wirt der Jenny Cameron zu sagen vermeint hatte: sie trug also ihrer Jungfer auf, den Mann ein wenig auszuforschen, auf was Art und Weise er dazu gekommen sei,
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