Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
kommentiere, ob es gleich dem ersten Anblick nach einigen Lesern anstößig sein kann, dennoch nach reiflicher Ueberlegung allen gefallen; denn weise und gute Menschen werden das, was Herrn Jones zu Upton begegnete, als eine gerechte Strafe seiner Zügellosigkeit in Ansehung des weiblichen Geschlechts betrachten, wovon es wirklich eine unmittelbare Folge war, und einfältige und schlechte Personen werden daraus Trost in ihrem Laster schöpfen, indem sie ihrem eignen Herzen schmeicheln, daß der Charakter eines Mannes mehr ein Werk des Zufalls als seiner Tugend sei. Nun möchten aber vielleicht die Betrachtungen, die wir geneigt sein könnten, hier anzustellen, beiden diesen Folgerungen widersprechen und zeigen, daß diese Zufälle bloß beitragen, jenen großen nützlichen und nicht gewöhnlichen Lehrsatz zu bestätigen, welchen unsern Lesern bestens einzuprägen der Endzweck dieses ganzen Werkes ist, und den wir nicht so häufig und auf allen unsern Blättern wiederholen müssen, wie etwa ein gewöhnlicher Kanzelredner seine Predigt damit ausdehnt, daß er am Ende jeder Periode seinen Text der Länge nach wiederholt.
Wir begnügen uns damit, daß es erhellen muß, wie Sophie, so unglücklich sie sich auch in ihrer Meinung von Jones irrte, dennoch hinlänglich Ursache zu dieser Meinung hatte; denn mich deucht, jedes andre junge Frauenzimmer würde sich in ihrer Lage auf eben die Weise geirrt haben. Ja, hätte sie eben jetzt ihren Geliebten aufgesucht und wäre in eben dieser Schenke, den Augenblick drauf, als er fortgegangen war, abgetreten, so würde sie den Wirt mit ihrem Namen und ihrer Person ebenso bekannt gefunden haben, als es ihr von dem Stubenmädchen zu Upton vorgekommen [9] war. Denn unterdessen daß Jones den Pferdeknecht in seinem abgelegnen Zimmer mit leiser Stimme ausfragte, hatte Rebhuhn, dessen Denkungsart nicht von so delikater Beschaffenheit war, den andern Knecht, welcher zu Madame Fitz Patricks Pferden gehörte, ganz öffentlich katechisiert, wodurch denn der Wirt, dessen Ohren bei solchen Gelegenheiten immer offen standen, mit Sophiens Purzelbaum vom Pferde u.s.w., mit dem Irrtum in Ansehung der Jenny Cameron, den verschiedenen Wirkungen des Punsches, kurz mit allen Dingen völlig bekannt wurde, welche sich in dem Gasthofe zutrugen, aus welchem wir die Damen in einer sechsspännigen Karosse weiter fahren ließen, als wir das letzte Mal unsern Abschied von ihnen nahmen.
Neuntes Kapitel.
Enthält wenig mehr als ein paar seltsame Bemerkungen.
Jones hatte ungefähr eine halbe Stunde in einem besondern Zimmer zugebracht, als er wieder in die Küche kam und mit dringender Eile von dem Wirte verlangte, ihn wissen zu lassen, was zu bezahlen wäre. Und das Mißvergnügen, welches Rebhuhn darüber empfand, daß er genötigt war, ein warmes Kamin und seine liebe Kanne mit vortrefflichem Malzsaft zu verlassen, ward dadurch einigermaßen versüßt, wie er hörte, daß er nicht weiter zu Fuße reisen sollte. Denn Jones hatte den Pferdeburschen durch goldene Gründe überredet, ihn nach dem Gasthofe zurückzubringen, wohin er vorher das Fräulein Sophie geführt hatte. Indessen willigte der Bursche nur mit der Bedingung darein, daß sein andrer Kamerad in dieser Schenke auf ihn warten müßte, weil, da der Wirt zu Upton ein genauer Bekannter von dem Wirt zu Gloucester war, es einmal früher oder später dem letztern zu Ohren kommen könnte, daß seine Pferde an mehr als eine Person verliehen worden, und solchergestalt der Knecht verbunden sein möchte, die Gelder zu berechnen, welche er sehr weislich gesonnen war, in seinen eignen Sack zu stecken.
Wir waren genötigt, dieses Umstandes zu erwähnen, so unbedeutend er scheinen mag, weil er Herrn Jones' Abreise um ein ziemliches verzögerte. Denn die Ehrlichkeit dieses letztern Kerls war ziemlich groß, – das heißt: von ziemlich großem Preise und würde Herrn Jones ziemlich viel gekostet haben, wenn nicht Rebhuhn, der, wie wir schon gesagt, einen sehr verschlagenen Kopf hatte, ganz listig eine halbe Krone dran gewendet hätte, um solche derweilen in der Schenke zu verzehren, da er die Rückkehr seines Kameraden [10] erwartete. Von dieser halben Krone hatte der Wirt nicht so bald die Witterung bekommen, als ihn die Gier darnach so heftig und überredend schreien ließ, daß der Kerl sehr bald überstimmt wurde, und für eine halbe Krone mehr, die er für seine Versäumnis forderte, den Handel einging. Hier können wir nicht umhin zu bemerken, wie
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