Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
aufwartete, wurden ihm von diesem Herrn dieselbigen Punkte wieder vorgelegt, worüber er des Abends vorher war befragt worden, auf die er eben dieselbige Antwort gab; die Folge davon war ein so derber Schilling, daß die Schmerzen davon vielleicht nahe an die Tortur grenzten, womit man in einigen Ländern den Verbrechern das Geständnis abnötigt.
Tom ertrug diese Züchtigung mit großer Standhaftigkeit, und obgleich ihn sein Lehrer zwischen jedem Hiebe fragte: Will man gerne bekennen? so wollte er sich doch lieber die Haut abschinden lassen, als seinen Freund verraten oder sein gegebenes Wort brechen.
Der Wildmeister war nun von seiner Angst befreit, und Herr Alwerth selbst begann mit Tom und seinen Schmerzen Mitleid zu fühlen; denn überdem, daß Herr Schwöger, der sich heftig darüber erboste, daß er den Knaben nicht dahin bringen konnte, zu sagen, was ihm beliebte, die Strenge sehr viel weiter trieb, als die Meinung des guten Pflegevaters war: so fing dieser letzte auch an zu mutmaßen, der Junker Nachbar könne sich geirrt haben, welches sein außerordentlicher Eifer und Aerger wahrscheinlich zu machen schien, und was das Zeugniß der Bedienten zur Bekräftigung ihres Herrn anlangte, so hielt er das nicht eben für sehr wichtig. Da nun Grausamkeit und Ungerechtigkeit zwei Ideen waren, deren Verschuldung sich bewußt zu sein, er nicht eine einzige Minute aus halten konnte, so ließ er Tom zu sich rufen und sagte zu ihm nach mancher sanften und freundlichen Vermahnung: »Ich bin überzeugt, mein liebstes Kind, daß ich dir mit meinem Verdachte zu wehe gethan habe; es thut mir leid, daß du darüber so strenge gezüchtigt bist.« Und schenkte ihm zuletzt zum Schmerzensgelde ein kleines Pferd, wobei er nochmals sein Bedauern über das Vorgegangene bezeugte.
Hierdurch ward sein Gewissen zu weit schärfern Bissen gereizt, als durch alle Strenge hätte geschehen können. Er konnte die Hiebe des ehrwürdigen Schwögers leichter ertragen, als die Großmut des Herrn Alwerth. Die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und er fiel auf die Kniee und rief aus: »Ach liebster Herr Vater, Sie sind zu gütig gegen mich! Gewiß, das sind Sie! In der That, ich bin's nicht wert.« Und in eben dem Augenblicke hätte er fast aus voller Herzensergießung das ganze Geheimnis verraten. Allein der gute Genius des Wildmeisters flüsterte ihm zu, was es für Folgen [96] über den armen Kerl bringen würde, und diese Rücksicht versiegelte ihm die Lippen.
Schwöger that alles, was er konnte, um Herrn Alwerth auszureden, dem Knaben Güte und Mitleiden zu bezeigen und sagte dabei: »er sei auf einer Unwahrheit bestanden,« und ließ sich soviel merken, eine zweite Geißelung möchte wohl die Wahrheit herausholen können.
Herr Alwerth aber weigerte sich rund aus, zu diesem Versuche seine Einwilligung zu geben. Er sagte, der Knabe habe bereits genug für die Verhehlung der Wahrheit gelitten, wenn er auch schuldig wäre; indem man sähe, er könne dabei keinen andern Bewegungsgrund haben, als eine mißverstandene Ehrliebe.
»Ehrliebe!« rief Herr Schwöger mit einiger Hitze, »klare Hartnäckigkeit! Barer Starrsinn! Kann Ehrliebe jemand lehren, Lügen zu sagen? Kann die geringste Ehre ohne Religion bestehen?«
Dies Gespräch fiel am Tische, zu Ende der Mittagsmahlzeit vor und waren dabei Herr Alwerth, Herr Schwöger und noch ein dritter Herr, der sich nun mit in die Untersuchung mischte und den wir, ehe wir einen Schritt weiter gehen, ganz in der Eile unserm Leser zur nähern Bekanntschaft präsentieren wollen.
Drittes Kapitel.
Charaktere des Herrn Quadrat, des Philosophen und des Herrn Schwöger, des Theologen, mit einer Disputation über – – –
Der Name dieses Herrn, der sich einige Zeit in Herrn Alwerths Hause aufgehalten hatte, hieß Quadrat. Seine Naturgaben waren eben nicht von der ersten Klasse. Sie waren aber durch eine gelehrte Erziehung um ein Großes ausgebildet. Er besaß eine tiefe Belesenheit in den Alten und alle Werke des Plato und Aristoteles wußte er auf den Fingern auswendig. Nach diesen großen Mustern hatte er sich hauptsächlich gebildet und hing zuweilen an der Meinung des einen und zuweilen an der Meinung des andern. In der Moral war er ein offenbarer Platoniker und in der Religion hing er auf die Seite der Aristotelianer.
Allein, ob er gleich, wie wir gesagt haben, das System seiner Moral aus dem Plato abstrahiert hatte, so war er dabei doch einstimmig mit dem Aristoteles, insoferne er diesen
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