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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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und Eitelkeit derselben lehrt, und die letzte, indem sie solche, als unserer Pflicht entgegenlaufend, bestrafet und zu gleicher Zeit durch solche Hoffnungen und Zusicherungen besänftigt, welche ein starkes und frommes Gemüt fähig machen, von einem Freunde auf seinem Sterbebette mit etwas minderer Gleichgültigkeit Abschied zu nehmen, als wenn er zu einer [90] langen Reise Vorkehrungen träfe, und freilich auch mit etwas weniger Hoffnung, ihn wiederzusehen.
    Ebensowenig kann auch der verständige Leser in Ansehung der Frau Brigitta Blifil in Verlegenheit sein, welche, wie er ihr nur dreist glauben mag, die ganze Zeit hindurch, welche sie in äußerlicher Traurigkeit des Körpers zu erscheinen hatte, sich nach den strengsten Regeln der Gewohnheit und des Wohlstandes betrug und die Veränderung ihrer Mienen genau nach der Aenderung in den Trauerkleidern einrichtete. Denn sowie diese von der dichten Florkappe bis zur schwarzen Kreppe, von der Kreppe zum Grauen, vom Grauen zum Weißen, und endlich von Franzen zu Spitzen sich abändert, ebenso veränderten sich ihre Mienen und ihr Gesicht vom Untröstlichen zum Gram, vom Gram zur Betrübnis, von der Betrübniß zum Traurigen, vom Traurigen zum Ernsthaften, bis der Tag ankam, da es ihr erlaubt war, zu ihrer vormaligen Heiterkeit zurückzukehren.
    Wir haben dieser beiden Exempel bloß als solcher Aufgaben erwähnt, die man den Lesern von der niedrigsten Klasse vorlegen kann. Von den höher Graduierten in der edlen Kunst der Kritik kann man nach aller Billigkeit weit schwerere und mühsamere Uebungen der Beurteilungskraft und des Scharfsinns erwarten. Von solchen werden, wie ich nicht zweifle, manche merkwürdige Entdeckungen gemacht werden über die Begebenheiten, welche in der Familie unseres würdigen Mannes alle die Jahre hindurch vorfielen, die wir für ratsam erachtet haben, zu überschlagen. Denn obgleich während dieser Zeit nichts vorging, welches einen Platz in dieser Geschichte verdiente, so ereigneten sich doch verschiedene Zufälle von gleicher Wichtigkeit mit denen, welche die täglichen und wöchentlichen Geschichtschreiber unserer Zeit zu Papiere bringen, bei deren Lesung eine große Anzahl Menschen einen wichtigen Teil ihrer Zeit hinbringen und zwar, wie ich fürchte, mit gar geringem Nutzen. Nun kann man aber bei den hier vorgeschlagenen Konjekturen einige der vortrefflichsten Geistesfähigkeiten mit vielem Vorteil üben, indem es eine weit nützlichere Kunst ist, die Handlungen der Menschen unter allerlei Umständen aus ihrem Charakter vorherzusagen, als ihre Charaktere aus ihren Handlungen zu beurteilen. Das erste, gesteh' ich, erfordert tiefere Einsichten, ist aber bei wirklichem Scharfsinn mit so großer Gewißheit thunlich, als das letzte.
    Da wir einsehen, daß der ungleich größeste Teil unserer Leser diese Eigenschaft in einem sehr hohen Grade besitzt, so haben wir ihm einen Zeitraum von zwölf Jahren überlassen, woran er solche üben kann, und wollen nun unsern Helden in einem Alter von [91] ungefähr vierzehn Jahren auftreten lassen, nicht zweifelnd, daß schon manche mit Ungeduld die Gelegenheit erwartet haben, mit ihm etwas nähere Bekanntschaft zu machen.

Zweites Kapitel.
    Der Held dieser großen Geschichte erscheint unter sehr schlimmen Vorbedeutungszeichen. Eine kleine Erzählung von so niedriger Gattung, daß einige meinen werden, sie hätte wohl wegbleiben können. Ein paar Worte über einen Landjunker und mehrere über einen Wildmeister und über einen Schulmeister.
     
    Da wir uns, sowie wir uns niedersetzten, diese Geschichte aufzuschreiben, alsobald vornahmen, keinem Menschen zu schmeicheln, sondern unsere Feder durchgängig nach Anweisung der Wahrheit zu führen, so sind wir genötigt, unsern Helden auf eine viel nachteiligere Weise auf die Bühne zu bringen, als wir wohl gewünscht hätten, und selbst bei diesem ersten Auftritte ganz ehrlich und redlich zu gestehen, daß alle Hausgenossen des Herrn Alwerth der einstimmigen Meinung waren, er sei gewiß zum Galgen geboren.
    In der That, es thut mir leid, es zu sagen! es waren nur zu viele Gründe für diese Ahnung vorhanden. Der Bursche hatte von seinen frühesten Jahren an einen Hang zu manchen Lastern geäußert, und besonders zu einem, welches ebenso geraden Weges als alle übrigen zu diesem Ende führt, das, wie wir eben bemerkt haben, ihm in prophetischem Geiste vorher verkündigt ward. Er war bereits dreier Verbrechen wider das siebente Gebot überwiesen worden, nämlich der

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