Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
Vom Netzwerk:
wahrgenommen haben, so seh' ich doch wohl, Sie haben nicht rätlich erachtet, darauf eine Antwort zu versuchen. Jedoch, beiseite gesetzt den Artikel der Religion, ist es hell und klar, denke ich, daß wir mit dem Worte Ehre ganz verschiedene Ideen verbinden; wie könnten wir sonst über ihre nähere Definition von entgegengesetzter Meinung sein? Ich habe behauptet, daß wahre Ehre und wahre Tugend beinahe gleichbedeutende Ausdrücke und beide auf die unveränderliche Regel des Rechts und die ewig vorherbestimmte Harmonie der Dinge gegründet sind, und weil sich nun platterdings damit keine Unwahrheit vereinigen läßt, so ist es klar, daß wahre Ehre keine Unwahrheit unterstützen kann. Hierin also, dünkt mich, sind wir beide einerlei Meinung. Daß man aber von dieser Ehre sagen könne, sie gründe sich auf Religion, da sie doch älter ist, als diese, wenn Religion so viel sagen soll als irgend ein positives Gesetz –«
    »Einerlei Meinung?« fiel Schwöger mit großer Wärme ein, »mit einem Manne, welcher behaupten kann, die Ehre sei älter als die Religion! Herr Alwerth, war ich mit ihm einerlei Meinung?«
    [99] Er stand im Begriff fortzureden, als sich Herr Alwerth ins Mittel legte und ihnen kaltblütig sagte: sie hätten ihn mißverstanden, denn er habe nichts von der wahren Ehre gesagt. – Indessen ist es wahrscheinlich, daß er die Disputierenden, welche beide in gleiche Hitze geraten waren, nicht so leicht zum Schweigen gebracht haben möchte, wenn nicht ein anderer Vorfall dazwischen gekommen wäre, welcher der Disputation für dieses Mal ein Ende gemacht hätte.

Viertes Kapitel.
    Notgedrungene Apologie für den Autor und ein Kinderstreich, der vielleicht eben auch seine Apologie nötig hat.
     
    Ehe ich weiter fortfahre, muß ich um Erlaubnis bitten, einige Mißverständnisse zu heben, zu welchen sich einige wenige Leser durch ihren Eifer möchten verleiten lassen, denn ich möchte nicht gern jemand Aergernis geben, am wenigsten solchen Seelen, welche in Sachen der Tugend und Religion gerne warm sind.
    Ich hoffe deswegen, es werde niemand aus grobem Mißverständnis oder Verdrehung meiner Meinung mich dafür ausschreien, als strebte ich darnach, die höchsten Vollkommenheiten der menschlichen Natur lächerlich zu machen, welche ohne Widerspruch das Herz des Menschen allein reinigen und über die tierische Schöpfung erheben. So viel, mein Leser, untersteh' ich mich zu sagen, (und um so vielmehr du zu den besseren Menschen gehörest, um so geneigter wirst du sein, mir zu glauben) daß ich lieber die Meinung dieser beiden Männer in ewige Vergessenheit wollte begraben haben, als einer von diesen beiden unendlich ehrwürdigen Grundursachen im geringsten zu nahe getreten sein.
    Im Gegenteil ist es vielmehr die Absicht, dafür zu wirken, daß ich unternommen habe, das Leben und die Handlung zweier ihrer falschen und vorgeblichen Verfechter in diesem Werke zu beschreiben. Ein verräterischer Freund ist der gefährlichste Feind und ich will es ganz kühnlich sagen, daß beide, Religion und Tugend, mehr Nachteil von Heuchlern erlitten haben, als die witzigsten Freigeister oder Ungläubige ihnen hätten zuziehen können; ja noch mehr, so wie diese beiden in ihrer Reinheit mit Recht die Banden der bürgerlichen Gesellschaft genannt werden und wirklich für die Menschen die größte Wohlthat sind; so sind sie auch, wenn sie durch das Gift des Betrugs, des vorgegebenen Eifers und der eigensüchtigen Anhänglichkeit angesteckt worden, zum größten bürgerlichen [100] Fluche gediehen und haben die Menschen fähig gemacht, über ihr eigenes Geschlecht das grausamste bitterste Elend zu verbreiten.
    In der That zweifle ich nicht daran, daß dieses Lächerliche überhaupt genommen, zulässig sei. Meine größte Besorgnis ist nur, daß, weil manche wahre und richtige Meinung oft durch den Mund solcher Personen gehen, man sie überhaupt in Bausch und Bogen zusammen nehmen und dafür halten möchte, ich habe sie insgesamt lächerlich machen wollen. Nun aber wird der Leser so geneigt sein, zu bedenken, daß, wie keiner von diesen beiden Männern geradezu ein Thor war, man also auch nicht annehmen könne, daß sie keine andere als irrige Grundsätze gehabt und nichts als lächerliche Meinungen geäußert hätten; was für Ungerechtigkeit müßte ich also nicht ihren Charakteren haben widerfahren lassen, wenn ich bloß das hervorgesucht hätte, was schlecht war, und wie abscheulich elend und verstümmelt müßten nicht ihre

Weitere Kostenlose Bücher