Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Twain
Vom Netzwerk:
gesetzt. Dann verwandelte sich Tom wieder in Robin Hood und Joe, der die verräterische Nonne vorstellte, ließ ihn sich an seiner Wunde zu Tode bluten. Zuletzt schleifte ihn der vielseitige Joe, der nun eine ganze Bande trauernder Räuber darstellte, nach vorn, legte Bogen und Pfeil in die zitternden Hände des Sterbenden und dieser hauchte: »Wo dieser Pfeil niedersinken wird, da verscharret die Reste des armen Robin Hood unter den Bäumen des Waldes.« Der Pfeil entschwirrte der Sehne, Tom fiel zurück und würde gestorben sein, wenn er nicht zufällig in einen Nesselbusch gesunken und für eine Leiche etwas allzu lebhaft emporgesprungen wäre.
    Drauf steckten sich die Jungen wieder in ihre Kleider, verbargen ihre Waffenausrüstung und zogen von dannen, in Trauer versunken darüber, daß das Zeitalter der Geächteten und Räuber entschwunden war. Vergeblich fragten sie sich, welche Errungenschaft moderner Gesittung wohl diesen Verlust aufzuwiegen vermöchte. Ihrem eigenen Gefühl nach wären die beiden weit lieber ein einziges kurzes Jahr lang Räuber, verfemte, geächtete Räuber im Sherwoodforste gewesen, als Präsident der Vereinigten Staaten auf Lebenszeit. 

     

8. Ein ernsthafter Vorfall.
    Um halb zehn Uhr an jenem Abend wurden Tom und Sid wie gewöhnlich zu Bette geschickt. Sie sprachen ihr Gebet und Sid war bald eingeschlafen. Tom lag wach und wartete in rastloser Ungeduld. Als er schon meinte, es müsse beinahe Morgen sein, schlug die Uhr zehn – es war rein zum Verzweifeln. Er würde sich im Bette herumgeworfen haben, unaufhörlich von einer Seite zur andern, wie es seine Nerven gebieterisch verlangten, hätte er nicht gefürchtet, Sid dadurch zu wecken. So lag er denn krampfhaft ruhig und starrte hinein in die Finsternis. Allmählich begannen sich in der beinahe greifbaren Stille kleine, kaum zu unterscheidende Geräusche bemerkbar zu machen. Erst drängte sich ihm der Laut der tickenden Uhr auf. Alte Balken krachten geheimnisvoll. Die Treppe knisterte leise. Augenscheinlich waren die Geister munter. Ein taktmäßiges, gedämpftes Schnarchen klang aus Tante Pollys Zimmer. Und jetzt begann auch noch einer Grille ermüdendes Zirpen, das mit Genauigkeit zu lokalisieren kein menschlicher Scharfsinn je imstande ist. Dann machte das unheimliche Ticken einer Totenuhr in der Wand, am Kopfende des Bettes, Tom zusammenschaudern – bedeutete es doch, daß jemands Tage gezählt seien. Nun erhob sich das klagende Geheul eines Hundes in die Nachtluft, dem leiseres Gewinsel aus der Ferne antwortete. Tom lag in reiner Todesangst da. Er war fest überzeugt, daß die Zeit aufgehört, die Ewigkeit begonnen habe. Trotz allem Bemühen, sich wach zu halten, begann er leise einzudämmern. Die Uhr schlug elf, er aber hörte es nicht mehr. Auf einmal tönte mitten in seine noch gestaltlosen Träume hinein das langgezogene, schwermütige Miauen eines Katers. Das Öffnen eines benachbarten Fensters, der Ruf: »Verfluchtes Katzenpack!« und das Zersplittern einer gegen die Mauer geschleuderten leeren Flasche ließ ihn entsetzt und urplötzlich wach in die Höhe fahren. Eine Sekunde später war er angezogen, zum Fenster hinaus und kroch auf allen Vieren auf dem Dache des Vorbaues entlang. Dabei miaute er ein- oder zweimal mit großer Vorsicht, sprang dann auf das Dach des Holzschuppens und von dort zu Boden. Huckleberry Finn mit seiner toten Katze erwartete ihn. Die Jungen entfernten sich und verschwanden im Dunkel. Eine halbe Stunde später wateten sie durch das hohe Gras des Friedhofs.
    Es war ein Friedhof nach der altmodischen Art des Westens und lag auf einem Hügel, etwa eine halbe Stunde vom Städtchen entfernt. Ihn umgrenzte ein wackeliger Bretterzaun, der sich abwechselnd bald nach innen, bald nach außen lehnte, nirgends aber gerade stand. Gras und Unkraut wucherten üppig über den ganzen Begräbnisplatz hin. Die alten Gräber waren sämtlich eingesunken. Kein Grabstein war zu erblicken. Wurmstichige Bretter schwankten statt dessen lose und schief auf den verfallenen Hügeln, schienen nach einer Stütze zu suchen und keine zu finden. »Zum Gedächtnis an – so – und so« war einst auf ihnen zu lesen gewesen, jetzt aber war's nicht mehr zu entziffern, auf den meisten wenigstens nicht, selbst im hellsten Tageslicht.
    Ein schwacher Windzug ächzte in den Bäumen; Tom war's, als müßte es das Seufzen der Toten sein, die sich über die Störung beklagten. Die Jungen sprachen nur wenig und nur im Flüsterton, denn

Weitere Kostenlose Bücher