Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
berühren können.
»Eilt euch, Leute!« sagte er mit leiser Stimme, »Der Mond kann jeden Augenblick herauskommen.«
Die brummten eine Antwort und fuhren fort zu graben. Eine Zeitlang hörte man kein anderes Geräusch als das Knirschen der sich ihrer Last von Erde und Sand entladenden Schaufeln. Es klang unsäglich eintönig. Endlich stieß ein Spaten mit dumpfem, hohlem Laut auf den Sarg, und in der nächsten Minute hatten die Männer diesen empor an die Oberfläche gehoben. Sie brachen den Deckel mit ihren Schaufeln auf, rissen den Leichnam heraus und warfen ihn roh zur Erde. Eben trat der Mond hinter den Wolken vor und beleuchtete das starre, weiße Antlitz. Die Trage wurde herheigebracht, die Leiche daraufgelegt, mit einer Decke verhüllt und mit dem Seile festgebunden, Potter holte ein großes Klappmesser aus der Tasche, schnitt das niederhängende Ende des Seiles ab und sagte:
»Jetzt ist das verfluchte Ding abgetan, Knochensäger, jetzt rückst du mit noch 'nem Fünfer heraus, oder die Bescherung bleibt hier.«
»Recht gesprochen, beim Schinder!« bekräftigte der Indianer-Joe mit einem Fluche.
»Hört mal, Leute, was soll das heißen?« sagte der Doktor. »Ihr habt Vorausbezahlung verlangt und sie auch gekriegt, und damit basta!«
»Jawohl, basta,« zischte der Indianer-Joe und sprang auf den Doktor zu, der nun aufrecht stand. »Wir zwei sind noch lang nicht fertig, daß du's nur weißt. Vor fünf Jahren jagtest du mich wie einen Hund von der Tür deines Vaters weg, als ich um etwas zu essen bat; ›der Kerl ist wegen ganz was anderem da‹, hieß es. Als ich dann sagte, das solltest du mir ausfressen und wenn's erst nach hundert Jahren wäre, da ließ mich der Herr Vater als Strolch einsperren. Meinst du, das hätt' ich vergessen? Ich hab nicht umsonst Indianerblut in mir. Jetzt hab ich dich und jetzt kommt die Abrechnung, merk dir's!«
Er fuchtelte dem Doktor dabei mit der geballten Faust unter der Nase herum. Dieser schlug plötzlich aus und streckte den Schurken zu Boden. Da ließ Potter sein Messer fallen und rief:
»Was da! Ich laß meinen Kameraden nicht hauen.« Im nächsten Moment hatte er den Doktor umklammert und die beiden rangen mit Macht und Gewalt, Gras und Boden dabei wild zerstampfend. Der Indianer-Joe sprang auf die Füße, seine Augen glühten und flammten vor Wut, er riß Potters Messer vom Boden auf und umkreiste unheimlich, katzenartig die Ringenden, nach einer Gelegenheit spähend. Plötzlich gelang es dem Doktor, seinen Gegner abzuschütteln. Mit einem Griff riß er das schwere, breite Brett, das auf Williams Grabe gestanden, an sich und schlug Potter damit zu Boden. Im selben Moment aber hatte auch der Indianer-Joe die günstige Gelegenheit ersehen, bis zum Heft stieß er das Messer in des jungen Mannes Brust. Der wankte und fiel teilweise auf Potter, den er mit seinem Blute überströmte, – da verkroch sich der Mond hinter Wolken und entzog das gräßliche Schauspiel den Augen der entsetzten Knaben, die in dem Dunkel sich eiligst davonmachten.
Als der Mond wieder hervortrat, stand der Indianer-Joe vor den beiden hingestreckten Gestalten und betrachtete sie. Der Doktor murmelte etwas Unverständliches, holte ein- oder zweimal tief Atem und – war still. Der Mörder brummte:
»Jetzt ist's abgerechnet – fahr zur Hölle!«
Dann beraubte er die Leiche, wonach er das verhängnisvolle Messer in Potters geöffnete rechte Hand steckte, sich selbst aber auf den zertrümmerten Sarg setzte. Drei – vier – fünf Minuten verflossen, da begann Potter zu stöhnen und sich zu bewegen. Seine Hand umschloß das Messer, er hob's empor, warf einen Blick darauf und ließ es mit einem Schauder fallen. Dann richtete er sich auf, schob den toten Körper zurück, starrte darauf nieder und dann verwirrt in die Runde. Seine Augen begegneten denen Joes.
»Herrgott, wie kam's denn, Joe?« fragte er.
»Ja, das ist 'ne faule Sache, Potter,« versetzte dieser, ohne sich zu rühren. »Daß du aber auch gleich so drauf losgehen mußt!«
»Ich? Ich hab's doch nicht getan!«
»Hör mal, du, das Geschwätz wäscht dich noch lang nicht weiß.«
Potter zitterte und wurde leichenblaß.
»Hab ich doch gemeint, ich wäre nüchtern gewesen, was hab ich auch am Abend so trinken müssen, ich alter Esel. Ich hab's noch im Kopf, das spür ich – schlimmer als im Anfang, wie wir kamen. Ich bin rein wie im Dusel – kann mich auf nichts besinnen. Sag doch, Joe – aber ehrlich, alter Kerl, – hab ich's
Weitere Kostenlose Bücher