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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Twain
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störten ihm den Schlaf für länger als eine Woche nach diesem Vorfall. Eines Morgens beim Frühstück sagte Sid:
    »Tom, du wirfst dich immer so herum und schwatzest so laut im Traum, daß ich die halbe Nacht nicht schlafen kann.«
    Tom erbleichte und senkte die Augen.
    »Das ist ein schlimmes Zeichen,« meinte Tante Polly ernst. »Was hast du auf dem Herzen, Tom?«
    »Nichts, Tante, ich weiß von nichts,« Aber des Jungen Hand zitterte so, daß er den Kaffee verschüttete. »Und so dummes Zeug redst du,« fuhr Sid fort. »Heute Nacht hast du gesagt: ›Blut ist's, Blut und gar nichts anderes!‹ Und das hast du immer und immer wieder gesagt. Und dann hast du auch gesagt: ›Quäl mich doch nicht so – ich will's ja gestehen.‹ Was gestehen? Was willst du denn gestehen?«
    Vor Toms Augen schwamm alles. Es läßt sich kaum ausdenken, was nun hatte geschehen können, wäre nicht plötzlich der forschende Blick aus Tante Pollys Auge geschwunden und sie Tom, ohne es zu wissen, zu Hilfe gekommen, indem sie ausrief:
    »Na, natürlich! 's ist der grausige Mord, der ihm zu schaffen macht. Mir geht's grad auch so. Ich träume jede Nacht davon. Ich hab schon geträumt, ich wär's selber gewesen!«
    Mary sagte, ihr ginge es gerade auch so und Sid schien damit zufriedengestellt. Tom entzog sich den Blicken der Seinen, sobald er irgend konnte, beklagte sich danach über Zahnweh eine Woche lang und band sich ein dickes Tuch um Mund und Kinnlade jede Nacht. Er wußte nicht, daß Sid ihn allnächtlich belauerte, zuweilen selbst die Binde lockerte, sich auf die Ellenbogen stützte, über ihn beugte und lange, lange lauschte, worauf er vorsichtig das Tuch an die alte Stelle zurückschob. Toms Furcht und Angst verlor sich allmählich, der ewige Zahnschmerz wurde langweilig und daher fallen gelassen. Wenn es Sid wirklich gelungen war, aus Toms unzusammenhängendem Gemurmel sich einen Vers zu machen, so behielt er alles für sich. – Es war Tom, als ob seine Schulkameraden es niemals satt bekommen könnten, gerichtliche Totenschau zu halten über tote Katzen und dergleichen. Sid fiel es dabei auf, daß Tom niemals die Rolle des Leichenbeschauers zu übernehmen trachtete, obgleich er sonst gewohnt war, Anführer bei jeder neuen Unternehmung zu sein. Er bemerkte auch, daß Tom auffallenderweise niemals als Zeuge auftrat, ja sogar eine entschiedene Abneigung gegen diese Art von Zeitvertreib an den Tag legte und sie mied, wo er nur irgend konnte. Sid wunderte sich, wie gesagt, darüber, erwähnte aber nichts. Endlich kamen denn auch die Totenschauen aus der Mode und hörten auf, Toms Gewissen zu beunruhigen.
    Jeden Tag, oder einen Tag um den anderen, während dieser Zeit der Trübsal, nahm Tom die Gelegenheit wahr, sich an das kleine, vergitterte Kerkerfenster zu schleichen und dem »Mörder« allerlei kleine Trostgegenstände, deren er habhaft werden konnte, zuzuschmuggeln. Das Gefängnis war ein winzig kleiner Backsteinbau, der am Ende des Städtchens mitten in einem Sumpf stand. Wächter gab's keine, Gefangene waren selten. Diese Opfergaben trugen sehr dazu bei, Toms Gewissen zu erleichtern.
    Die Einwohner des Städtchens hatten große Lust, auch dem Indianer-Joe zuleibe zu gehen wegen des Leichenraubes. So furchtbar war aber sein Ruf, daß sich keiner fand, der sich dazu verstehen wollte, die Leitung der Sache zu übernehmen, und so ließ man es denn bleiben. Vorsichtigerweise hatte er in seinen beiden Aussagen gleich bei der Rauferei begonnen, ohne erst den beabsichtigten Leichenraub einzugestehen, der dieser vorangegangen war, und so hielt man es für das klügste, die Sache, einstweilen wenigstens, nicht vor Gericht zu bringen.
     

     

11. Verschiedene Kuren. – Eine Enttäuschung.
    Eine der Ursachen, weshalb Toms innerer Mensch begann, sich von seinen geheimen Sorgen und Leiden abzuwenden, lag darin, daß ein neues und wichtiges Interesse alle seine Gedanken in Beschlag nahm, Becky Thatcher war aus der Schule fortgeblieben. Tom rang mit seinem Stolze ein paar Tage lang, versuchte, sich die Gedanken an  sie  aus dem Kopf zu schlagen; aber umsonst. Zu seinem eigenen Erstaunen betraf er sich selbst auf nächtlichen Streifereien um ihres Vaters Haus herum, wobei ihm ganz elend zumute war.  Sie  war krank. Wenn sie nun sterben müßte? Verzweiflung, Wahnsinn lag in dem Gedanken. Ihn lockte nichts mehr hienieden, kein Krieg, kein Seeräubertum. Die Sonne des Lebens war entschwunden, nur die qualvollste Finsternis geblieben.

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