025 - New York, New York!
Persönliches Logbuch von Kapitaan Colomb
56. Tag
Wir haben den Wind im Rücken und die glatte See vor uns. Die Mannschaft ist guter Dinge, obwohl ich ihr viel abverlange. Diese Männer sind daran gewöhnt, das Ziel einer Reise und ihre Dauer zu kennen, aber auf dieser Fahrt ist beides unbekannt.
Niemand von ihnen weiß, ob es unser Ziel überhaupt gibt.
Meeraka, wie sie es nennen, oder Amerika, wie es tatsächlich heißt, ist für sie nicht mehr als eine Legende, ein Ort, von dem an den Lagerfeuern erzählt wird.
Während ich dies schreibe, muss ich mich bereits korrigieren, denn ich glaube, dass es einen Mann an Bord gibt, der sehr wohl weiß, dass Amerika existiert.
Sein Name ist Maddrax, und ich habe ihn auf einem Sklavenmarkt in Plymeth erworben. Dort wurde er als erfahrener Seemann angeboten, was er zweifelsfrei nicht ist. Jedoch verfügt er über andere Kenntnisse, die sich auf dieser Fahrt bereits als lebensrettend erwiesen haben.
Ohne ihn hätten wir den Kampf gegen meinen verfluchten Konkurrenten Delleray - möge Orguudoo seine Überreste verschlingen - nicht überstanden. [1]
Maddrax verfügt über größeres Wissen als der junge Gelehrte Cosimus.
Ich vertraue ihm und habe aus dem Sklaven meinen neuen Ersten Lytnant gemacht, ein Schachzug, der meinen Zweiten Lytnant Jochim sehr enttäuscht hat.
Zwischen ihm und Maddrax scheint ein Streit zu schwelen, den ich besorgt beobachte.
Unfrieden an Bord kann auf einer so langen Reise gefährlich werden.
Aber bis jetzt habe ich keinen Grund zur Klage.
Die Männer haben die Schäden behoben, die Dellerays Angriff und der Vulkanausbruch verursacht haben, das Wetter ist gut und wir machen schnelle Fahrt.
Möge Wudan uns weiterhin beistehen!
PS: Erinnerung an mich selbst: Ich sollte Cosimus von Maddrax' Behauptung erzählen, er habe fünfhundert Jahre übersprungen.
Davon habe ich in keinem meiner Bücher gelesen. Vielleicht weiß der vorlaute Gelehrte ja mehr.
Persönliches Logbuch von Kapitaan Colomb
60. Tag
Bei Wudan, es ist kalt geworden. Ich habe mich dazu durchgerungen, die Felle, die als Geschenke an die Eingeborenen vorgesehen waren, an Deck bringen zu lassen, damit die Männer sich wärmer einkleiden können. Jetzt wirken sie zwar eher wie eine wilde Horde Nordmänner als wie friedliche Entdecker aus Britana, aber das stört weder mich noch sie.
Am Morgen hat der Ausguck die ersten Eisschollen gesichtet, die von Nordwesten her auf die Santanna zutreiben. Ich habe Geschichten über Schiffe gehört, die in kalten Wintern vor Noorweje im Eis stecken blieben. Ihre Besatzungen flohen auf das gefrorene Meer. Sie aßen alle Vorräte, dann das Leder und schließlich sogar einander, bevor der Frost sie umbrachte. Wer bis zum Frühjahr überlebte, ertrank, als die See wieder zu Wasser wurde, denn sie hatten das Schiff längst verbrannt, um sich daran zu wärmen. Mögen die Götter uns vor diesem Schicksal bewahren.
Ich habe Maddrax und Jochim heute in meine Kajüte gebeten. Auf meine Anweisung hin reichten sie sich die Hand zum Friedensschluss, aber ich konnte das Misstrauen in den Augen meines Ersten Lytnants sehen. Jochim hingegen schien über das Ende des Streites froh zu sein. Doch vielleicht täusche ich mich auch, denn der Steuermann ist ein verschlagener Mensch - und ein guter Seemann, weshalb ich ihn gewähren lasse.
Persönliches Logbuch von Kapitaan Colomb
62. Tag
Die Götter haben uns verlassen! So hart wie Fels ist das Eis, das vor uns liegt. Wenn wir weiter segeln, wird es uns sicherlich umschließen. Schon jetzt prallt es mit solcher Wucht gegen die Schiffsrümpfe, dass sie leck zu schlagen drohen.
Die Männer bedrängen mich, endlich ein Einsehen zu haben und zurück nach Plymeth zu segeln. Auch sie kennen die Geschichten von den Schiffen im Eis.
Ich würde mein Leben opfern, wenn ich nur eine Möglichkeit sehen würde, gegen das verfluchte Eis anzukommen. Zu Fuß würde ich meine Besatzung nach Amerika führen - mit der Peitsche in der Hand! -, aber es hat keinen Sinn. Der Weg in die Neue Welt ist noch lang.
Meine Entscheidung ist getroffen. Die Santanna wird umkehren müssen. Ich habe versagt.
Persönliches Logbuch von Kapitaan Colomb
62. Tag (abends)
Ein böser Dämon hat Maddrax besessen und lässt ihn wirr sprechen. Zumindest glaube ich das, seit er mir von seiner Idee erzählt hat. Mein erster Lytnant möchte doch wirklich, dass ich das Schiff auf Grund laufen lasse! Einen größeren Unsinn hat es in der
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