Tom Thorne 04 - Blutzeichen
zurück. »Fragen Sie doch den Scheißkerl von einem Richter. Wenn es so was wie eine Gerechtigkeit gibt, ist dieses Arschloch inzwischen tot.« Er lachte ohne rechte Überzeugung über seinen Witz. »Der hätte Gerechtigkeit nicht erkannt, und wenn sie ihn in den Hintern gebissen hätte.«
»Der Fall hat Wellen geschlagen«, sagte Thorne. »Es stand fest, dass Sie dafür sehr lange würden einsitzen müssen.«
»Jetzt hören Sie mal, ich hab nicht erwartet, dass man mir eine Ohrfeige verpasst. Aber schauen Sie sich doch an, womit diese Mistkerle heute davonkommen. Typen, die ihre Frauen aufschlitzen, sind nach zehn Jahren wieder draußen. Manchmal noch früher …«
Nicht dass er auch nur ein Quäntchen Mitgefühl für Rooker empfunden oder daran gezweifelt hätte, dass er jede Sekunde im Knast verdient hatte, dennoch begriff Thorne, worauf Rooker hinauswollte. Die zwanzig Jahre, die er bekommen hatte, waren doppelt so viel wie eine ganze Reihe der so genannten »lebenslangen« Haftstrafen, von denen Thorne gehört hatte.
»Das ist nicht fair«, sagte Rooker. »Zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre in diesem Scheißtrakt für gefährdete Häftlinge …«
Thorne verkniff sich ein Grinsen. »Sind Sie denn immer noch gefährdet, Gordon?«
Rooker blinzelte, schwieg jedoch.
»Aber anscheinend noch immer gefährlich. Zwanzig Jahre und noch immer im Hochsicherheitstrakt. Welche Kategorie? B? Sie können kein braver Junge gewesen sein.«
»Es gab da ein paar Vorfälle …«
»Schwamm drüber, hm? Jetzt haben Sie’s so gut wie hinter sich?«
»Drei Monate noch, und dann sind die zwanzig Jahre vorbei …«
Thorne lehnte sich zurück und sah nach rechts. Die Schwarze fing seinen Blick auf, als sie ein zerknülltes Taschentuch aus ihrer Handtasche fischte. Er wandte sich wieder Rooker zu. »Ein seltsamer Zufall, dass dieser Typ ausgerechnet jetzt auftaucht und behauptet, er ist’s gewesen.«
Rooker schüttelte den Kopf. »Wie man’s nimmt. Jetzt ist schließlich der bestmögliche Zeitpunkt, wenn einer es auf Aufmerksamkeit anlegt. Kurz vor meiner Entlassung. Meiner möglichen Entlassung. Aber wenn er glaubt, dass sie mich wirklich rauslassen, ist er blöder, als ich dachte.«
»Woran liegt’s? DLP?«
Rooker nickte. Nach Ablauf der Strafe konnte das Discretionary Life Panel dem Innenminister die Freilassung empfehlen. Das Panel bestand aus einem Richter, einem Psychiater und einem weiteren Experten, der mit dem Fall vertraut war – etwa einem Kriminologen oder einem Bewährungshelfer. Anders als bei einer normalen Entlassung auf Bewährung gehörte zu dieser Überprüfung eine mündliche Anhörung, zu der der Häftling zu seiner Vertretung einen Anwalt oder einen Freund mitbringen konnte.
»Ich hab nicht die geringste Chance«, sagte Rooker. »In den letzten Jahren ging mir noch kein Antrag durch.« Er blickte Thorne an, als erwarte er von diesem eine Erklärung oder die beruhigende Versicherung, es würde diesmal klappen. Er bekam nichts dergleichen zu hören. »Was soll ich denn noch machen? Ich war in der Therapie, hab weiß der Himmel wie viele Kurse belegt …«
»Reue ist wichtig, Gordon.« Bei diesem Wort flog Rooker geradezu nach hinten in seinen Stuhl. Thorne beugte sich vor. »Aus irgendeinem Grund stehen diese Leute darauf. Die wollen etwas Mitgefühl mit dem Opfer sehen, kapiert? Einen Funken Verständnis dafür, was Sie dem Opfer und seiner Familie angetan haben. Vielleicht haben die den Eindruck, es tut Ihnen nicht richtig Leid, Gordon. Was glauben Sie? Vielleicht geht es um diese Frage? Wo bleibt die Reue?«
»Ich hab die Hand gehoben, hab gestanden.«
»Das ist nicht dasselbe.«
Das scharrende Geräusch von Rookers Stuhl, als er sich vom Tisch wegschob, ließ Thorne zusammenzucken. »Sind wir fertig?«, fragte Rooker.
Thorne schob seinen Stuhl ebenfalls nach hinten und blickte nach rechts, wo die Schwarze sich das Taschentuch an den Mund hielt und schluchzte. Er traf den Blick des Mannes ihr gegenüber.
Der sah aus, als wolle er Thorne den Kopf abreißen.
Wie versprochen rief Thorne sofort an, nachdem er aus dem Gefängnis draußen war. Er berichtete ihr kurz von dem Gespräch mit Rooker. Sie bekam genau das zu hören, was sie sich gewünscht hatte, und dennoch blieb die Erleichterung, die Carol Chamberlain sich davon erhofft hatte, aus.
Sie saß an ihrem Schreibtisch, in dem behelfsmäßig eingerichteten Büro, in das Jack und sie vor einem Jahr das Gästezimmer verwandelt hatten.
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