Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Schon ironisch, dass genau heute das Kopfweh so schlimm ist. Ich sollte mich wohl ein wenig im Dunklen hinlegen, aber dafür ist keine Zeit. Es geht bald los.
Ein nettes, gemütliches Kartenspiel.
Die ganze Zeit über habe ich mich gefragt, was wohl mein Vater zu dem gesagt hätte, was ich mache. Ich kann nur hoffen, dass er damit einverstanden wäre, aber ich werde mir nie sicher sein können. Er wollte nie wirklich darüber sprechen, was er diesen Frauen angetan hatte, wegen denen er in den Knast wanderte. Lag vielleicht daran, dass er es selbst nicht verstand, zumindest nicht, bis der Tumor entdeckt wurde. Wie auch immer, er behielt es für sich, und das musste ich respektieren. Er beschloss zu schweigen. Darin unterscheiden wir uns.
Mich werden sie, wenn das Schlimmste eintritt und ich genauso ende, nicht zum Schweigen bringen. Ich werde ihnen das Ohr abkauen. Sie werden mich zur Isolationshaft verdonnern, nur damit sie eine Pause haben!
Hab ich damit etwas erreicht? Ich denke schon. Hat sich dadurch etwas geändert? Ich habe mich verändert, und damit werde ich mich begnügen müssen. Die letzten Worte? Das hängt davon ab, für wen ich sie schreibe. Für die wenigen Auserwählten, die das hier lesen werden. Wahrscheinlich wird es im Gericht vorgelesen werden, wie dramatisch. Die sensibleren unter den Geschworenen werden den Atem anhalten oder ein, zwei Tränen verdrücken. Gewisse Formulierungen werden es mit ziemlicher Sicherheit in die Schlagzeilen der Boulevardblätter schaffen, was meinem alten Freund, dem Zeitungshändler, ein paar Scheinchen zusätzlich einbringen sollte. Und ich weiß, die Psycho- und Dokumentartypen werden später endlos über jeder Seite brüten.
Viel Glück.
Allerdings bin ich mir gar nicht sicher, ob es mir überhaupt darum geht, die zu beeindrucken. Sie zu beeindrucken.
Am Ende des Tages, vor allem eines so entscheidenden Tages wie diesem, kann ich nicht wertvolle Zeit damit verschwenden, mir etwas Tiefsinniges aus den Fingern zu saugen.
Als scheiß drauf.
Drücken wir die Daumen.
Vierundvierzigstes Kapitel
Thorne legte die letzte Seite der Akte weg, ein dicker Stapel Fotokopien des Notizbuches, das unter Dowds Sachen im Petz-Palais gefunden worden war. Die Aufzeichnungen reichten zurück bis zu dem Tag, an dem Raymond Garvey nach der Operation seines Hirntumors im Addenbrooke’s Hospital gestorben war. Der Tag, an dem sich alles veränderte.
Der Tag, an dem Anthony Garvey anfing, Pläne zu schmieden.
Thorne griff nach seinem Bier und nahm einen tiefen Schluck aus der Dose. Er brauchte ihn.
»Was wird aus Jason?«, fragte Louise.
»Sache des Sozialamts«, sagte Thorne. »Kurzfristig wohl erst mal eine Pflegeunterbringung.«
»Die haben sich in seinem Fall bisher ja nicht mit Ruhm bekleckert, oder?«
»Es gibt sonst niemanden.« Nina Collins hatte angeboten, ihn zu nehmen, aber sie entsprach nicht gerade dem, was sich die Allgemeinheit unter einer geeigneten Mutter vorstellte.
Louise lag auf dem Sofa, Elvis hatte es sich auf ihrem Bauch gemütlich gemacht. Sie griff nach unten, suchte nach dem leeren Weinglas und hob es hoch. »Noch ein Glas wäre nett.«
Thorne stand auf, nahm das Glas und ging in die Küche.
»Warum, glaubst du, hat er es getan?«, fragte Louise.
Thorne bückte sich, um die Flasche aus dem Kühlschrank zu nehmen. Er blinzelte und sah Jason Mitchells Gesicht vor sich, die Verzweiflung in den Augen des Jungen, als Thorne ihn gepackt und weggezogen hatte; sein ständiges »Tsch-tsch« gerade noch hörbar über den Polizeisirenen und dem Kreischen der Zugbremsen.
»Komm mit mir, Jason«, hatte Thorne gesagt. »Gehen wir zurück zu Tante Nina.«
Jason hatte gelächelt, noch immer imaginäre Rauchwolken ausgestoßen und zur Brücke gedeutet, als Thorne mit ihm den Weg hinauf zu den Autos und den blinkenden Blaulichtern ging.
»Tom?«
Thorne kam zurück ins Wohnzimmer und gab Louise das Glas. »Entschuldige?«
»Warum hat Garvey Selbstmord begangen?«
»Carol vermutet, es war Teil seines Plans«, sagte Thorne. »Seine Mutter war ein Opfer seines Vaters. Also stand er auf seiner eigenen Liste.«
Louise sah ihn zweifelnd an.
»Ja, ich weiß.« Es gab auch Sätze in Garveys Aufzeichnungen, die auf seine Angst hindeuteten, er würde sterben wie sein Vater. Die Obduktion, die sofort stattfand, nachdem Hendricks aus Schweden zurückgekommen war, zeigte, dass Garvey keinen Tumor hatte, sondern die
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