Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
stärker. In der Küche lagen die Autoschlüssel auf dem Boden, daneben der schwere alte Teekessel. Getrocknete Blutspritzer breiteten
sich wie ein feiner Nebelstreif auf den weiß gestrichenen Schränken aus.
»Nein«, sagte er. Er wollte nicht glauben, was er da sah, auch wenn sich sofort die Szene in seinem Kopf abspielte:
Sie lief zur Hintertür, die jetzt offen stand, und dabei fiel ihr der Autoschlüssel aus der Hand. Als sie am Herd vorbeikam, schnappte sie sich den Teekessel, um ihn als Waffe zu benutzen. Sie schlug ihn damit so fest, dass er blutete. Tapferes Mädchen.
Das Ganze setzte sich auf der Veranda fort, wo während eines Kampfs ein Stuhl umgeworfen wurde. Noch mehr Blut auf einem Steinfrosch von der Größe eines Krocketballs. Wessen Blut?
O Gott, nein.
Er zitterte. Schwitzte wie ein Pferd. Sein Kopf fing an zu pochen. Sein Magen zog sich zusammen.
Dann fiel sein Blick auf etwas Kleines, etwas, das völlig unbedeutend aussah, nicht einmal so groß wie sein kleiner Finger, irgendein Stück Müll …
Eine Tube Sekundenkleber.
87
»Halt! Halt!«, schrie Tommy.
Er kniete auf der Rückbank, hielt sich mit der einen Hand an der Kopfstütze fest, und mit der anderen schlug er mit geballter Faust auf die Schulter und den Kopf des Schattenmannes ein, der hinter dem Lenkrad des Autos von seinem Vater saß.
Der Mann brüllte: »Setz dich hin!«
»Halten Sie an!«, kreischte Tommy, so laut er konnte. Wieder holte er aus und traf den Schattenmann mit solcher
Wucht am Ohr, dass er im ersten Moment glaubte, er hätte sich die Finger gebrochen.
Der Schattenmann riss das Lenkrad scharf nach rechts und trat auf die Bremse. Tommy wurde quer über die Rückbank geschleudert und krachte mit dem Kopf so hart gegen das Fenster, dass er lauter Sternchen sah, und dann fing er zu seiner allergrößten Beschämung an zu weinen.
»Halt die Klappe! Halt endlich die Klappe!«
Das Ungeheuer beugte sich nach hinten, das Gesicht wutverzerrt.
Tommy vergrub sein Gesicht in seiner Decke und schluchzte. Er rang mit einem Entsetzen, das größer war als alles, was er kannte.
»Ich will zu meinem Dad!«, rief er immer wieder. »Ich will zu meinem Dad!«
Anne versuchte, sich aus dem Gürtel zu winden, mit dem ihre Arme an ihren Seiten gefesselt waren. Crane hatte ihn so fest zugezogen, dass ihre Hände schon taub wurden. Ihr Rücken und ihre Rippen brannten vor Schmerz, und sie befürchtete, jeden Augenblick keine Luft mehr zu bekommen.
Das Auto war plötzlich stehen geblieben, und sie erwartete, dass der Kofferraumdeckel aufspringen und Peter Cranes Gesicht drohend über ihr erscheinen würde. Stattdessen hörte sie, wie er Tommy anbrüllte und wie Tommy laut schluchzte: »Ich will zu meinen Dad!«
Es brach Anne fast das Herz. Er musste Todesängste ausstehen. Wahrscheinlich hatte er sich in dem Auto versteckt, weil er auf ein großes Abenteuer mit seinem Vater gehofft hatte. Sein Dad war ein toller Typ. Sein Dad war ein Held.
Aber sein Dad war ein Ungeheuer. Er war ein so schlimmes Ungeheuer, dass Tommy es nicht einmal über sich
brachte, in dem Mann hinter dem Steuer den Mann zu erkennen, den er so liebte.
Was würde mit ihm geschehen?, fragte sich Anne. Er hatte gesehen, wie sein Vater seine Lehrerin entführte - die er bald umbringen würde. Was sollte Peter Crane mit ihm machen? Er würde ihn auch töten.
Jetzt fing auch Anne an zu weinen.
88
Sie stürmten das Haus der Cranes wie ein Überfallkommando - Vince, Mendez, Hicks und Dixon, begleitet von einer Spezialeinsatztruppe. Dass Peter Crane Anne hierhergebracht haben könnte, war ausgeschlossen, aber sie wollten Janet Crane mit diesem Auftritt Angst einjagen und sie aus dem Gleichgewicht bringen.
Dixon übernahm die Führung, als Peter Cranes Frau die Haustür öffnete.
»Mrs Crane, wir müssen mit Ihrem Mann sprechen«, sagte er ohne Präambel. »Würden Sie ihn bitte holen?«
Janet Crane hatte offensichtlich geschlafen. Sie trug zwar einen schicken roten Hausanzug aus Samt, aber ihr Make-up war auf der rechten Seite verschmiert, und sie sah aus, als wäre sie betrunken. Verwirrt blickte sie Dixon an, als sie versuchte, zu sich zu kommen.
»Entschuldigen Sie, Sheriff«, sagte sie. »Aber worum geht es?«
»Wir müssen mit Ihrem Mann sprechen«, wiederholte Dixon.
»Warum?«
»Ist er zu Hause?«
»Nein, er ist nicht zu Hause.« Sie reckte den Hals, um an
ihm vorbei einen Blick auf den Leiter der Spezialeinsatztruppe zu werfen, der in der
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