Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
immer in ihrem Garten. Sie nutzte diese Zeit der Stille, um nachzudenken und sich zu sammeln. Gartenarbeit war ihre Form der Meditation und die beste Möglichkeit, um im Kopf zur Ruhe zu kommen.
Obwohl sie gestern nach einem langen Tag mit mehreren Besprechungen aus L. A. zurückgefahren und erst spät nach Hause gekommen war, hatte sie es geschafft, vor ihren Nachbarn aufzustehen. Der Herbsthimmel zeigte ein wolkenloses Blau, die Temperatur lag bei angenehmen zweiundzwanzig Grad. Sie ging an den Blumenrabatten entlang und schnitt verwelkte Rosen ab, während Violet, ihr schwarzer Mops, zwischen dem prächtigen roten Sonnenhut auf Mäusejagd ging.
Jane liebte ihr Zuhause. Sie hatte das im spanischen Haziendastil erbaute Haus aus dem Jahr 1928 vor knapp fünf Jahren gekauft, als sie nach der Scheidung von ihrem Mann aus Los Angeles weggezogen war. Oak Knoll mit seinen interessanten Einwohnern und der Kleinstadtatmosphäre hatte sie schon immer angezogen. Das College brachte akademische Weltoffenheit und lebenslustige Jugend in das Städtchen. Durch seine Nähe zu Santa Barbara und den nördlichen Ausläufern von L. A. konnten junge Berufstätige mit Familie gut pendeln. Das vielfältige Angebot von Oak Knoll machte es zugleich zu einem angenehmen Altersruhesitz für vermögende Rentner, die Geld mitbrachten und die Kultur förderten.
Das College genoss einen guten Ruf, besonders der Fachbereich Musik, und zog talentierte Musiker und Sänger an, sowohl als Studenten wie auch als Dozenten. Jeden Sommer
fand in Oak Knoll ein vielbeachtetes Festival mit klassischer Musik statt.
Auch wenn Jane eine Wohnung in L. A. behalten hatte, war ihr eigentliches Zuhause Oak Knoll, und im Mittelpunkt ihres Lebens stand das Oak Knoll Thomas Center for Women.
Dieses Frauenhaus war eine abgespeckte Version des ursprünglichen Thomas Center in Los Angeles. Die Center, geistiges Kind von Jane und ihren beiden Schwestern und mit finanziellen Mitteln aus der gemeinnützigen Stiftung der Familie Thomas aufgebaut, boten Frauen einen Ort, an dem sie ein neues Leben beginnen konnten.
Zu ihnen kamen Frauen aus allen sozialen Schichten, die eine zweite Chance brauchten und verdienten. Obdachlose Frauen, geschlagene Frauen, Frauen, die drogenabhängig gewesen oder vorbestraft waren - sie alle wurden ohne Vorurteile willkommen geheißen. Jedes Center bot den Bedürftigen Unterkunft, medizinische Betreuung, psychologische und berufliche Beratung und half ihnen, äußerlich und innerlich ein neuer Mensch zu werden, sodass sie sich mit Zuversicht und einem neuem Selbstwertgefühl auf den Arbeitsmarkt begeben konnten.
Die Thomas-Schwestern waren mit dem Ideal aufgewachsen, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben und denen zu helfen, die vom Glück weniger begünstigt waren als sie. Mit ihren einundvierzig Jahren war Jane eine erfolgreiche Geschäftsfrau und eine bekannte Kunstmäzenin. Sie saß im Vorstand mehrerer überregionaler Wohlfahrtseinrichtungen, aber was sie am meisten mit Stolz und Freude erfüllte, waren die Thomas Center.
Durch die offene Hintertür ihres Hauses hörte sie zum dritten Mal innerhalb einer Stunde das Telefon klingeln. Solange sie mit ihrer Gartenarbeit beschäftigt war, ging sie niemals
ans Telefon, was eigentlich jeder wusste, der sie besser kannte. Aber drei Anrufe in einer Stunde ließen darauf schließen, dass jemand sie wirklich dringend sprechen wollte, und der Gedanke rief ein mulmiges Gefühl in ihr hervor.
Ihre Eltern waren beide noch am Leben und gesund, aber das hieß nicht, dass ihnen nicht etwas zustoßen konnte. Ihre Schwester Amy machte Ferien auf einer Ranch in Idaho. Sie konnte vom Pferd gestürzt oder beim Wandern von einem Bären angefallen worden sein.
»Sei nicht albern«, murmelte Jane vor sich in, war jedoch schon auf dem Weg ins Haus und streifte ihre Handschuhe ab.
Bis sie die Küche durchquert hatte und an ihrem Schreibtisch im vorderen Zimmer stand, hatte sich der Anrufbeantworter eingeschaltet. Zornig blinkende rote Ziffern zeigten ihr an, dass sie sieben neue Nachrichten hatte. Sie war am Abend zuvor zu müde gewesen, um die bis dahin aufgezeichneten vier abzuhören. Stattdessen war sie gleich in ihr Schlafzimmer gegangen, hatte gebadet und war ins Bett gekrochen, wo sie noch ein paar Seiten von Sinn und Sinnlichkeit gelesen hatte.
Die erste Nachricht war von ihrer Assistentin am Thomas Center, Dienstag, 10 Uhr 34.
»Hi, Jane. Entschuldige die Störung, aber ich hatte gerade einen Anruf
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