Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur
unter Mühen öffnen. Mendez nahm ein Glas Wasser von dem Nachttischchen und hielt ihr den Strohhalm hin. Sie saugte gerade fest genug, um ihre Lippen ein wenig zu befeuchten.
»Sie haben ein paar schlimme Tage hinter sich«, sagte Vince. »Erinnern Sie sich?«
Sie nickte kaum wahrnehmbar.
»Erinnern Sie sich auch daran, dass jemand auf Sie geschossen hat, Gina?«
Wieder nickte sie. Allein diese kleine Bewegung schien sie völlig zu erschöpfen. Ihr rasselnder Atem ging schneller.
»Erinnern Sie sich, wer es war, Gina?«, fragte Vince.
Wieder nickte sie, und man sah, wie sie alle Kraft sammelte, um den Namen auszusprechen.
»Mark.«
92
Mark Foster hatte seine Bläser in der alten Episkopalkirche versammelt, wo er dem Publikum schon einmal einen Vorgeschmack auf das bevorstehende große Winterkonzert geben wollte.
Fast alle Plätze waren besetzt. Kulturveranstaltungen stießen grundsätzlich auf großes Interesse in Oak Knoll. Über mangelnde Aufmerksamkeit von Seiten der akademischen Gemeinde und der vielen gut situierten Ruheständler konnte man sich wahrlich nicht beklagen.
Das Quintett war mitten in Lo, How a Rose E’er Blooming , als Hicks und Mendez zusammen mit zwei Uniformierten die Kirche betraten. Die Deputys gingen die Seitengänge hoch zum Altar. Mendez und Hicks nahmen den Mittelgang und warteten, bis das Lied zu Ende war.
Foster wandte sich dem Publikum zu, um sich unter dem stürmischen Applaus zu verneigen, und riss bei ihrem Anblick überrascht die Augen auf. Die Deputys traten von der Seite heran.
»Was ist los?«, fragte Foster.
Mendez machte einen Schritt nach vorn. »Mark Foster, ich verhafte Sie wegen Entführung und versuchten Mordes an Gina Kemmer. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern …«
Foster wurde kreidebleich und sah zu dem Deputy, der schon die Handschellen in der Hand hielt.
»Versuchen Sie es erst gar nicht«, warnte Mendez. »Versuchen Sie nicht wegzulaufen.«
Aber wie bei einem in die Enge getriebenen Tier stachelte Fosters Instinkt ihn zur Flucht an.
Ein Aufschrei ging durch das Publikum, als er, Mendez auf seinen Fersen, an Hicks vorbei zur Seitentür rannte. Mendez erwischte ihn am Kragen, gerade als er die Tür aufriss. Sie stolperten beide hindurch, und Mendez knallte Foster mit dem Gesicht voran gegen eine Säule.
Mit einer schnellen Handbewegung ließ Mendez die Handschellen zuschnappen und zischte Foster, der eine zerbrochene Brille, eine gebrochene Nase und eine gespaltene Lippe hatte, an: »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht weglaufen sollen.«
Vince wartete im Vernehmungsraum auf sie. Er hatte es sich mit einer Tasse Kaffee und einem Stoß Akten bequem gemacht und kritzelte gerade ein paar Notizen auf einen Block, als sie durch die Tür traten.
Er betrachtete Foster über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Mr Foster«, sagte er, stand auf und streckte ihm die Hand entgegen – was Foster daran erinnerte, dass er nach wie vor in Handschellen war. »Vince Leone.«
»Mr Foster hat sich eingebildet, davonlaufen zu können«, sagte Mendez und führte Foster zu einem Stuhl.
Vince runzelte die Stirn. »Oje … das sollte man nie tun, Mr Foster. Da denken die anderen nur, dass man schuldig ist.«
»Ich habe nichts getan.«
»Warum sind Sie dann weggelaufen?«, fragte Vince und nahm wieder Platz. »Das haben Sie jetzt davon.«
»Das ist reine Polizeischikane.«
»Nein, eine Verhaftung. Als Nächstes werden wir Ihre Fingerabdrücke nehmen und Sie ins Bezirksgefängnis bringen lassen.«
Er machte noch ein paar Notizen, klappte den Block zu, nahm seine Brille ab und legte sie auf den Tisch. »Gina Kemmer hat heute Nachmittag das Bewusstsein wiedererlangt.«
»Das freut mich«, sagte Foster.
»Tatsächlich? Gina hat uns erzählt, dass Sie auf sie geschossen und sie dann in einen alten Brunnen geworfen haben, weil Sie sie für tot hielten.«
»Das ist doch albern!«, rief Foster und presste ein Lachen hervor. »Gina ist eine Freundin! Sie ist verwirrt. Sie muss eine Gehirnerschütterung oder so etwas haben.«
»Nein, hat sie nicht. Sie hat sich bei dem Sturz den Knöchel gebrochen, aber mit ihrem Kopf ist alles in Ordnung. Auf dem Boden des Schachts liegt eine dicke Schicht Müll. Sie ist ziemlich weich gefallen.«
»Warum sollte ich ihr das antun?«, fragte Foster.
»Ich gebe Ihnen noch einen Rat: Stellen Sie nie eine Frage, deren Antwort Ihnen unter Umständen nicht gefallen könnte«, sagte Vince. »Als Marissa umgebracht wurde,
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