Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur
Kathryn Worth war intelligent und hartgesotten und würde sich von Peter Cranes renommierten Verteidigern ganz bestimmt nicht einschüchtern lassen.
Sie betrat Kathryn Worths Büro im ersten Stock des Gerichtsgebäudes und nahm wieder einmal auf einem der alten Ledersessel vor dem Schreibtisch Platz. Wie viele der bedeutenderen Gebäude in Oak Knoll war auch dieses in den Dreißigerjahren errichtet worden, ein Schmuckstück im spanischen Kolonialstil mit einigen Art-nouveau-Elementen. In den Gerichtssälen und Büros standen schwere Eichenmöbel. Die Wandverkleidung in den Fluren bestand aus original Malibu-Potteries-Fliesen mit handgemalten Bordüren. Alles hier strahlte etwas Solides, Vertrauenerweckendes aus, das dem Besucher versicherte, Justitia stünde auf seiner Seite.
Kathryn Worth nahm ihre übergroße Lesebrille ab und begrüßte sie mit einem Lächeln. »Anne, wie geht es Ihnen?«
»Gut, hoffe ich«, sagte Anne. »Das hängt letztlich davon ab, was Sie mir zu sagen haben.«
Worth zuckte leicht mit den Schultern, als wollte sie dem, was sie gleich sagen würde, etwas von seinem Gewicht nehmen. »Die Verteidigung hat einen Antrag auf Ausschluss eines Beweismittels gestellt. Damit werden sie natürlich nicht durchkommen.«
Anne richtete sich etwas auf. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. »Welches Beweismittel?«
»Die Tube Sekundenkleber.«
»Mit welcher Begründung?«
»Sie behaupten, sie wäre untergeschoben.«
»Er wollte mir das Zeug in die Augen schmieren!«, rief Anne aufgebracht und merkte, wie der Druck in ihrem Inneren wuchs.
Die Ereignisse liefen vor ihr ab wie eine Szene aus einem Film: Peter Crane, wie er sich über sie beugte, ihr sein Knie auf die Brust drückte, seine linke Hand um ihren Hals legte, sie würgte. Mit der rechten Hand wühlte er in seiner Jackentasche, zog eine kleine Tube heraus. Der Kleber.
All seinen Opfern waren Augen und Mund zugeklebt worden.
»Ich habe sie gesehen!«, rief Anne. »Ich habe sie ihm aus der Hand geschlagen!«
»Ich weiß. Und das werden Sie unter Eid aussagen.«
»Nicht, wenn die es schaffen, dass die Tube als Beweismittel ausgeschlossen wird!«
»Anne, beruhigen Sie sich«, sagte die Staatsanwältin leise. »Das schaffen die nicht.«
»Aus irgendeinem Grund denken die es aber.«
»Michael Harrison bildet sich ein, er könnte das Rote Meer teilen. Reine Selbstüberschätzung. Er blufft. Das ist lediglich ein weiterer Schachzug, um das Unvermeidliche hinauszuzögern.«
»Und?«
»Und was?«
»Sie haben mir doch noch nicht alles gesagt.«
Worth runzelte die Stirn. »An Ihnen ist wirklich eine hervorragende Anklagevertreterin verloren gegangen«, murmelte sie. »Auf der Tube befinden sich keine brauchbaren Fingerabdrücke. Ich weiß auch nicht, warum. Weil die Tube so klein ist. Weil jemand von der Spurensicherung die Abdrücke verwischt hat, als er sie aufgehoben hat. Wer weiß? Es spielt keine Rolle.«
»Für mich spielt es eine Rolle«, sagte Anne. Sie merkte, dass ihr übel wurde.
»Anne, Sie dürfen die Hauptsache nicht aus dem Blick verlieren. In ganz Südkalifornien werden Sie keinen Geschworenen finden, der Peter Crane von der Anklage der Entführung und des versuchten Mordes an Ihnen freispricht. Nie im Leben. Den Kleber können wir vernachlässigen. Er ist nicht wichtig.«
»Er stellt eine Verbindung zu den Morden an Julie Paulson und Lisa Warwick her. Und zu dem versuchten Mord an Karly Vickers.«
»Wegen dieser Morde steht er nicht vor Gericht. Vor Gericht steht er wegen dem, was er Ihnen angetan hat. Und es ist völlig ausgeschlossen, dass er ungeschoren davonkommt.«
»Warum habe ich dann solche Angst davor?«, fragte Anne. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hielt eine Hand vor den Mund, fühlte sich ihrer Angst hilflos ausgeliefert. Später würde die Wut folgen – Wut darüber, dass jemand es schaffte, diese Gefühle in ihr hervorzurufen, und Wut über ihre Unfähigkeit, sie zu unterdrücken.
Kathryn Worth stützte die Arme auf den Schreibtisch und seufzte. »Weil das dazugehört, Anne. Peter Crane hat Sie zum Opfer gemacht, und das hört nicht einfach auf. Es geht nicht einfach vorbei.«
»Danke«, sagte Anne. »Genau das wollte ich hören.«
»Ich will nicht, dass Sie sich noch schlechter fühlen, Anne. Wirklich nicht. Aber ich habe an diesem Schreibtisch – und an anderen – schon vielen Opfern gegenübergesessen. Ich weiß, wie das ist.«
»Es ist grauenhaft«, flüsterte Anne, und die Verzweiflung
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