Torso
Kugeln Georg zerfetzten. Ich hätte sofort schießen müssen. Aber ich war zu langsam. Und wissen Sie, warum? Es war natürlich absurd, aber dieser Anblick … Georg, mit ausgebreiteten Armen über Ihnen, wie er diese tödlichen Kugeln empfing. Ich war wie gelähmt. Er opfert sich, durchfuhr es mich. Nicht für Sie. Für
mich!
Er warf die letzten paar Monate seines Lebens hin für mich. Für seinen feigen Schwächling von Bruder.«
Elin fröstelte. Zollangers Augen waren weit aufgerissen.
»Natürlich habe ich mir das nur eingebildet. Georg ist diesem gewissenlosen Mörder einfach ein paar Sekunden zu früh vor die Pistole gelaufen. Wir haben die Sache völlig idiotisch angepackt.«
Er starrte wütend vor sich hin. Die Kerzen auf dem Tisch flackerten ein wenig. Seine Züge lösten sich allmählich wieder, und er wirkte nur noch unendlich traurig.
»Obwohl ich es besser weiß … manchmal frage ich mich, ob er sich das nicht alles von Anfang an so vorgestellt hat. Dass ich irgendwann hier sitze, in seiner verdammten Mönchszelle. Ist das alles nicht total verrückt?«
Elin wusste nicht, was sie erwidern sollte. Zollanger tat ihr leid. Sie schaute ihn an und versuchte sich vorzustellen, wie seine innere Bilanz aussah. Wie es sich anfühlte, einen Bruder zu verlieren, wusste sie. Aber so? Sie war versucht, ihn über Georg auszufragen. Aber sagte dieser Ort nicht alles? Sie verstand diesen Menschen sofort, ohne ihm jemals begegnet zu sein.
Zollangers Niedergeschlagenheit schien grenzenlos. Sein Gesicht wirkte eingefallen. Elin wollte etwas Aufmunterndes sagen, irgendetwas, das die düstere Stimmung der letzten Minuten aufhellen würde. Aber es dauerte eine Weile, bis ihr etwas einfiel.
»Ihre Kollegin hat mich aufgesucht«, unterbrach sie endlich die Gesprächspause.
»Was?«, stammelte Zollanger ungläubig. »Sina?«
Elin nickte. »Sie hat mich ausgefragt. Über Sie. Über uns.«
Zollanger schaute sie völlig konsterniert an. Aber das leichte Lächeln, das allmählich von seinen Zügen Besitz nahm, machte sie jetzt froh.
Die wenigen Fragen, die sie noch hatte, konnte sie sich nun selbst beantworten. Zollanger hatte sie beschworen zu schweigen, damit es zu einem Prozess kommen würde, der ihm als Bühne für seine Enthüllungen dienen konnte. Und das hatte funktioniert. Er war aus Berlin verschwunden, hatte die Ereignisse aus sicherem Abstand verfolgt, seine Zeugenaussage gefilmt und sich dem Orden seines Bruders anvertraut. Und die hatten ihn aufgenommen. Den Mörder des Mörders eines ihrer Ordensmitglieder. Den Bruder eines Bruders. Rechnete man hier so? Oder gab es andere Gründe? War der Schutz vielleicht auch nur befristet?
»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ich?« Er lachte leise. »Was kann ich schon tun? Ich kann froh sein, dass man mich versteckt. Dass man mir ein Bett und Verpflegung anbietet. Aber Sie, Elin? Was ist mit Ihnen? Sie sind frei. Sie sind jung. Was sind Ihre Pläne?«
Sie zuckte mit den Schultern. Dann sagte sie: »Nach allem, was ich begriffen habe, braucht man wohl zwei Dinge, um in dieser Scheißwelt etwas zu verändern.«
»Und? Was wäre das?«, wollte er wissen. »Pinsel und Farbe?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haut und Knochen?«, versuchte er es ein zweites Mal. Sie verneinte erneut.
»Kunst oder irgendwelche Symbole verändern gar nichts«, sagte sie trotzig. »Man braucht eine Steinschleuder. Und eine Banklehre.«
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Nachwort
Dieser Roman ist ein Phantasieprodukt. Ähnlichkeiten mit realen Vorgängen und Personen sind allerdings unvermeidlich, da sich die Phantasie nun mal nur an der Wirklichkeit entzünden kann.
Sachliche Fehler sollten auch in erfundenen Geschichten nicht vorkommen. Falls dies hier doch der Fall sein sollte, dann weil Autoren (und Lektoren) auch nur Menschen sind.
Folgende Personen, die mich vorzüglich beraten haben, tragen jedenfalls keinerlei Schuld an etwaigen Irrtümern: die Autorenberatung der Berliner Polizei, insbesondere Frau Norma Neufindt von der 7. Mordkommission, und der Kriminalist und Sachbuchautor Stephan Harbort.
Mit Gewinn gelesen habe ich vor allem Matthew Rose:
Eine Ehrenwerte Gesellschaft. Die Bankgesellschaft Berlin
sowie Susanne Opalka und Olaf Jahn:
Tod im Milliardenspiel. Der Bankenskandal und das Ende eines Kronzeugen.
Ohne Gewinn habe ich gelesen:
Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des Abgeordnetenhauses von Berlin – 15. Wahlperiode – zur Aufklärung der
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