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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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traten.
    Als Lilli Steinbeck eintraf, war die Gegend um das Hotel Imperial bereits weiträumig abgeriegelt worden, so daß im Zentrum des Schreckens eine ausgesprochen feiertägliche Stille herrschte, während sich jenseits der Absperrungen demonstrationsartige Anhäufungen gebildet hatten und der Verkehr in aufgeregter Weise zum Erliegen gekommen war.
    Hinter einer Phalanx von Polizeiwagen und auf den benachbarten Häusern waren Scharfschützen in Stellung gegangen, deren konzentrierte Körperhaltungen bereits aufweichten. Ein Stoßtrupp war über das Dach des Hotels ins Innere vorgedrungen, hatte die Gäste unsanft in ihre Suiten zurückgedrängt und näherte sich nun dem Vestibül mit jener schwerfälligen Eleganz, die das Tragen von kugelsicheren Westen, dicksohligem Schuhwerk und beträchtlicher Gerätschaft mit sich bringt.
    Steinbeck schien ein wenig zugenommen zu haben. Überhaupt wirkte sie auf eine unaufdringliche Art gesund, auch wenn das niemand sah, da alle immer nur ihre Nase wahrnahmen. Sie trug ein ärmelloses, pfirsichfarbenes Kleid, das ihrer schlanken Figur eine blühende Note verlieh, was in jedem Fall netter aussah als all diese unförmigen Kampfanzüge.
    »Was verlangt er?« fragte Steinbeck, als sie neben dem offiziellen Einsatzleiter Oberst Stock zu stehen gekommen war. Der zuckte bloß mit den Schultern, meinte dann aber, man habe es wohl mit einem simplen Verrückten zu tun, der sich in Szene zu setzen versuche.
    »Na, das scheint ihm ja gelungen zu sein.«
    »Wer schickt Sie eigentlich?« fragte Stock.
    »Raten Sie mal?«
    »Sie würden es mir ohnehin nicht sagen.«
    »Da liegen Sie richtig.«
    Die Ankunft hoher Gäste befreite den Oberst von diesem unerquicklichen Gespräch. Er wandte sich zur Seite, um dem Bürgermeister zuzueilen, der von Polizeipräsident und Sicherheitsdirektor flankiert wurde. Da Steinbeck angewiesen worden war, sich vom Präsidenten fernzuhalten, erachtete sie es für an der Zeit, die Initiative zu ergreifen, weshalb sie nun den Belagerungsring passierte und auf das Hotelportal zuging, den breitrandigen Hut in der Hand, eine österreichische Audrey Hepburn, elegant, sommerlich, verhalten beschwingt wie in Breakfast at Tiffany’s , jedoch, konnte man meinen, so blind wie in Wait Until Dark . Die Scharfschützen kannten Steinbeck, weshalb sie stillhielten. Stock und seine Gäste waren noch dabei, Freundlichkeiten auszutauschen, bemerkten zu spät die Eigenmächtigkeit der Kollegin. Stock bebte vor Wut. Der Präsident blickte indigniert. Der Sicherheitsdirektor meinte, er werde der Steinbeck den Schädel abreißen – aber in der Regel wüßte sie ja, was sie tue. Der Bürgermeister registrierte eine leichte Überforderung in seinem Kopf.
    Als Steinbeck in die Halle trat, hatte sich die erste verspätete Aufregung wieder gelegt. Die meisten Leute waren in Deckung gegangen, kauerten in Ecken oder waren tief in die Polstermöbel gerutscht. Einer von diesen Zehnjährigen, die unerträglich werden, wenn nicht unentwegt etwas passiert oder zumindest eine Cola bereitsteht, quengelte. Als er Lilli Steinbeck sah, zeigte er auf ihre Gesichtsmitte und begann zu wiehern. Sie packte ihn mit zwei abgewinkelten Fingern an der Nase, nicht fest, gerade so, daß er sich vorstellen konnte, daß es auch fester ging, und bat ihn in freundlichem, ruhigem Ton, daß er für eine Weile den Mund halten solle. Er verstummte augenblicklich.
    Wedekind stand noch immer hinter den beiden älteren Damen, die nun allerdings auf Stühlen saßen, offensichtlich Schwestern, die nicht aufgehört hatten, die gleiche Kleidung und Frisur zu tragen. Und welche auf die gleiche Weise die Henkel ihrer auf den Kniespitzen plazierten rosafarbenen Handtäschchen hielten.
    Da nun Steinbeck näher kam – Audrey auf dem Weg zu ihrem Rendezvous –, richtete Wedekind seine Waffe auf sie. Steinbeck besaß einen guten Blick für Schützen. Die Gefahr dieses Mannes hätte darin bestehen können, daß er nicht sie, sondern jemand anders traf. Aber ebenso besaß sie einen guten Blick für Waffen, gerade weil sie diese Werkzeuge für unnütz hielt. Und auch wenn die hier nicht aus Brotteig geknetet war, so erkannte Steinbeck, indem sie leicht seitlich zum gestreckten Arm stand, daß der Zeigefinger des Schützen derart im Abzugbügel steckte, als hätte er bereits abgedrückt, und es folglich ganz so aussah, als würde dieser Pistole der Abzug fehlen, abgesehen davon, was ihr sonst noch so fehlte. Was dem Mann fehlte,

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