Tortengraeber
Schuberts Schöner Müllerin vor, und zwar mit jenem Minimum an Mühe, Konzentration und Hingebung, das man angesichts einer Stelle wie »Das Wild, das ich jage, das ist der Tod« und angesichts der Kosten dieses Gesangsunterrichtes wohl verlangen konnte.
Nachdem die Stimme verklungen war, nicht viel anders, als wäre ein Buch mehrmals zugeschlagen worden, öffnete sich die Tür, und in den Vorraum trat ein Teenager, dem man die Erleichterung ansah, die musische Bildung hinter sich gebracht zu haben. Wofür Lilli Steinbeck durchaus Verständnis hatte. Andererseits: Ein gewisser Zoll mußte geleistet werden. An Schubert war nun einmal nicht vorbeizukommen, wollte man es in der Wiener Gesellschaft zu etwas bringen – was auch immer Herr Schubert davon gehalten hätte.
Die beiden begrüßten sich und verließen das Haus Arm in Arm, Mutter und pubertierende Tochter, hätte man meinen können, merkwürdig harmonisch. Lilli Steinbeck hatte das Mädchen vor kurzem bei sich aufgenommen, finanzierte dessen Unterhalt und Ausbildung. Sie hatte angegeben, es handle sich um das Kind rumänischer Verwandter, Banater Schwaben. Wie Steinbeck selbst machte das Mädchen physisch den Eindruck, als hätte es eine zehrende Krankheit hinter sich gebracht und sei gerade dabei, ein wenig Fleisch um seine Knochen zu entwickeln. Jemand, der Sarah Hafner gekannt hatte, hätte meinen können … aber das war natürlich Unsinn. Menschen sehen sich ähnlich. Jeder von uns hat auf dieser Welt mindestens vier, fünf Doppelgänger. Zudem: Wer konnte sich schon an Sarah Hafner erinnern?
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