Tortenschlacht
Reih und Glied und in aller Stille auf dem Dach ihrer Kajüte und linsten gelassen der Lotte entgegen, um sie dann mit einem heiseren Krächzen und einer kleinen Ehrenflugrunde in vertrauter Art zu begrüßen.
Heute Morgen jedoch störte ein massives, vielfach aufgeregtes, kehliges Geschrei, begleitet von heftigstem Flügelschlagen irgendwo hinter der Backbordwand des Fischkutters, die Ruhe des gemütlichen Hafens und der fünfundsechzigjährigen Lotte Nannsen. Rund um ihr Boot öffnete die rüstige Mecklenburgerin mit Schwung die schweren Regenplanen und guckte über die Reling, wo sie den Grund für das Gezeter vermutete.
Der Anblick war nichts für schwache Nerven. Im Brackwasser der Ostsee dümpelte ein Kopf, der bei leichtem Seegang mit stetigem Klopfen gegen die Außenwand des Kutters bollerte. Die Seemöwen machten sich zeternd und balgend an ihm zu schaffen, sie hatten den Morgen über ganze Arbeit geleistet. Die Physiognomie war grotesk zerpickt.
Mit drei gezielten Schüssen in die Luft mussten Oberkommissar Hansen und ich die Biester erst einmal verjagen, bevor wir uns jetzt mit Lotte Nannsen gemeinsam über Backbord beugten und staunten. Tatsächlich, ein Menschenkopf!
Oder das, was von ihm übrig geblieben war. Aufgedunsen und bleich, mit mächtig zerpflückten Hautflächen. Das rechte Sehorgan fehlte komplett, ein bisschen Glibber mit Seewasser schwappte am Grund der Augenhöhle. Das linke sah man nicht sofort, da eine schwarze Filzklappe über ebenjenem vermutlich unversehrten Auge mit einem elastischen Band befestigt war. Aus dem langen, lasch herabhängenden Hals hingen noch längere weiße Venen- und Fleischfäden heraus. Keine Frage: der Kopf eines männlichen Individuums.
»Das ist Quatsch!«, knurrte Hansen jetzt. »Denken Sie mal logisch, Kubsch!«
»Was ist Quatsch, Chef?«, fragte ich irritiert zurück.
»Das mit dem linken unversehrten Auge.«
Wo er recht hat, hat er recht. Die Augenklappe war ein untrügliches Zeichen dafür, dass vermutlich auch mit dem anderen Sehorgan irgendetwas nicht stimmen konnte. Unwillkürlich fummelte ich etwas verlegen an meiner Brille herum.
»Aber davon mal abgesehen, tut das jetzt auch nichts zur Sache.«
Mein Chef war kein Freund vieler Worte, vor allem dann nicht, wenn die Arbeit rief. Lotte war da anders, die war stadtbekannt für ihre plattdeutschen Weisheiten. Sie hievte drei Kisten fangfrischen Fisch, die an der Kaimauer geduldig auf sie gewartet hatten, auf ihren Kahn.
»De Jung ward nich mihr ut keen kieken können.«
Für das Protokoll war die Bemerkung unerheblich, dennoch wollte ich jede weitere wesentliche Aussage aus Gründen des besseren Verständnisses gleich auf Hochdeutsch in meinen Klappblock notieren.
Zwei Kollegen von der Spurensicherung rückten an. Mit langen Stangen, an deren Enden in der Morgensonne Metallhaken glänzten, versuchten sie den Kopf, der jetzt wie ein Fußball im Wasser unberechenbar herumdriftete, aus dem Hafenbecken zu fischen.
»Da stimmt was nicht!«
Hansen beobachtete die ungeschickten Bemühungen unserer Kollegen.
»Klar«, ergänzte ich selbstsicher, »da fehlt der Rest.«
Der Rumpf schien unsauber abgetrennt, aber auch nach einem ersten gewissenhaften Suchen war er bislang nirgends im Hafenbecken und näheren Umfeld der Segelboote oder Fischkutter aufgefunden worden.
»Das mein ich nicht«, entgegnete er kühl und fügte nach einem kurzen Moment des Nachdenkens erklärend hinzu: »Der Kopf schwimmt oben! Das kann nicht sein.«
Hansen grübelte, ich auch.
Wasserleichen waren für die Wismarer Polizei keine Seltenheit. Die Ostsee konnte ganz schön ungemütlich werden, in einer Hafen- und Küstenregion, in der sich Fischer, Segler und Touristen tummeln, gehörten Seeunglücke fast schon zum traurigen Alltag. Es verging kaum ein Jahr ohne verunglückten Seemann beziehungsweise Badegast.
Fand man die Leiche nicht sofort, sogen sich die Lungen voll Salzwasser, und der Tote ging nach allen Regeln der Physik kurze Zeit später unter. Vorausgesetzt, dass er sich nicht im Seetang oder Fischernetz verhedderte, kehrte der Körper dann nach etwa drei Tagen wieder an die Wasseroberfläche zurück. Durch den Verwesungsprozess entstanden Fäulnisgase, die die Leiche aufblähten und nach oben trieben.
Aber so eine Wasserleiche schwamm nicht ewig. Nach drei bis vier Wochen war die Haut so vollgesogen mit Flüssigkeit, dass der Leichnam fast das Doppelte an Masse hatte, dann sank er aufgrund seines Gewichts zum
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