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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G Wachlin
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stecke mir die Zigarette an und inhaliere tief. »Vielleicht suchen sie einen unauffälligen Rückzugsort in Flughafennähe.«
    »Und bringen dafür harmlose Bauern um?«
    »Es wird ein Motiv geben«, entgegne ich. »Auch die Mafia tötet nicht ohne Grund. Und nur in den seltensten Fällen kann man ihr etwas nachweisen.« Ich gebe Friedrichs das Feuerzeug zurück. »Immerhin ist die kalabrische Küche erstklassig.«
    »Sie können mich ja mal zum Essen einladen«, entgegnet Friedrichs und hält mir die Hand hin. »Auf gute Zusammenarbeit, Hauptkommissar Knoop!«

11    HEAVY POLZIN stand auf dem Dach der Hausnummer siebzehn und sah über die Stadt. Es regnete noch immer, und es würde Stunden dauern, bis er den Iro wieder in Form hatte. Aber das war egal. Irgendwer wollte sie ausräuchern, noch vor dem dritten Oktober vollendete Tatsachen schaffen. Alteigentümer aus dem Westen, Kapitalistenschweine, hatte das KWV -Männchen gesagt. Aber konnte man ihm trauen? Warum war der Kerl plötzlich so geschmeidig? Was steckte dahinter? Warum kroch er ihnen so in den Arsch?
    Irgendwas stimmte an der Sache nicht, das hatte Polzin sozusagen im Urin. Womöglich waren diese Nutzungsverträge nur irgendwelche Fallstricke, um sie mit irgendeinem juristischen Trick hier rauszuknocken. Wenn man Kohle hätte, könnte man mal einen Rechtsverdreher dazu befragen. Das waren zwar auch nur irgendwelche Geldschneider, aber die hatten wenigstens Ahnung.
    Klar war, dass hier irgendeine verdammte Spekulantenmafia am Werk war! Schon einmal hatten Unbekannte die Gasleitungen leckgeschlagen. Da wäre fast alles in die Luft geflogen. Und jetzt hatte es die Sechzehn getroffen. Deshalb gab es jetzt Wachen. Rund um die Uhr. Die ›Autonome Republik‹ stand auf dem Spiel.
    Polzin zog an seiner Selbstgedrehten und spuckte einen Tabakkrümel aus. Wir werden uns wehren, dachte er immer wieder, egal gegen wen, aber wir werden uns verdammt noch mal wehren!
    Aus allen Teilen der Stadt waren Solidaritätserklärungen eingetroffen. Das »Neue Forum« zeigte sich tief betroffen über den verbrecherischen Brandanschlag auf das »Alternative Besetzerprojekt Helmholtzplatz«, die Evangelische Kirche beklagte die Mietpreisexplosion, die immer mehr Menschen entwurzele, autonome Gruppen und Kreuzberger Besetzer riefen zu konkreten Maßnahmen gegen Wohnungsspekulantentum und Mietwucher auf und schlugen eine revolutionäre Protestdemo vor. Von Ost nach West, vom Helmholtzplatz zur Mainzer Straße und über die Oberbaumbrücke. Dann Schlesische und Wrangelstraße runter bis zum Mariannenplatz. Berufsverkehr lahmlegen, Leute aufrütteln, Maklerbüros abfackeln! Abschlusskundgebung vorm Georg-von-Rauch-Haus. Das wurde schon in den Siebzigern besetzt, das waren echte Veteranen der Bewegung.
    Polzin lief langsam über das Dach und beobachtete die Umgebung. Ein einsamer Trabi knatterte über den Platz, und noch immer roch es nach Ruß und kaltem Rauch.
    Diese Schweine! Die haben einen Menschen auf dem Gewissen. Missmutig sah er über das verbrannte Dachgerippe des Nachbarhauses. Ausgerechnet die Sechzehn hatte es getroffen, das Haus, das am besten in Schuss war. Da gab es fließend Wasser, Strom und sogar einen Telefonanschluss – die wussten genau, wo sie zuschlagen mussten.
    Die Häuser mussten besser gesichert und zu uneinnehmbaren Festungen umgebaut werden. Auch wegen der Gefahr einer polizeilichen Räumung. Den ganzen Tag hatten sie Toreinfahrten verbarrikadiert, Kellerfenster und Kohlenschuten zugemauert. Falltüren aus alten Europaletten sicherten jeden Treppenabsatz, sodass im Notfall Etage für Etage einzeln verteidigt werden konnte.
    Im Plenum hatte es endlose Debatten gegeben. Erst wegen der komischen Grundstücksübernahmeverträge, die keine Sau verstand, und dann wegen der Solidaritätsdemo. Über den Zeitpunkt und den genauen Verlauf wurde gestritten, und ob man sie genehmigen lassen sollte oder nicht. Schließlich ging es über die Grenze, und wo die Westberliner Polizei nicht lange fackelte bei nicht genehmigten Demonstrationen, ganz anders als im Ostteil der Stadt, wo die Bullen sich immer sehr zurückhielten, seit die SED -Bonzen gestürzt worden waren.
    Und dann brauchte man noch ein Motto. Stundenlang wurde getextet und gedichtet: »Vergesst die Kohle, lebt mit Verstand – und setzt nicht unser Haus in Brand« , aber das war den meisten zu friedlich, hier ging es schließlich um die autonome Revolution, um den Kampf, wie künftig die Welt aussehen

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