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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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der Glut, bis das Fleisch perfekt war.
    Der Mann, der das Fleisch für unsere Feste spendierte, war Karls Vater, Fredi Gerstl. Er war der einzige echte Denker in unserer Gruppe, ein kräftig gebauter Mann mit dicken Brillengläsern, der so gar nicht wie ein Vater daherkam, sondern mehr wie ein Freund. Fredi war politisch engagiert und betrieb zusammen mit seiner Frau die beiden größten Tabak- und Zeitungskioske in Graz. Er war Vorsitzender des Tabakhändlerverbands, doch was er am liebsten tat, war, jungen Leuten zu helfen. Am Wochenende machten er und seine Frau mit ihrem Boxer an der Leine einen Spaziergang rund um den See, und Karl und ich trotteten nebenher. Bei Fredi wusste man nie, welches Thema er ansprechen würde. Gerade redete er noch über den Kalten Krieg, und in der nächsten Minute zog er uns schon damit auf, dass wir noch nichts über Mädchen wüssten. Fredi war eigentlich ausgebildeter Opernsänger, und manchmal stellte er sich ans Wasser und schmetterte eine Arie. Zur Begleitung heulte der Hund dazu. Karl und mir war das so peinlich, dass wir uns beim Spaziergang immer weit zurückfallen ließen.
    Fredi hatte auch die Idee mit den Gladiatoren. »Was wisst ihr Burschen schon über Krafttraining?«, sagte er eines Tages zu uns. »Warum macht ihr es nicht wie die römischen Gladiatoren? Die wussten, wie man trainiert!« Obwohl er Karl drängte, Medizin zu studieren, war er begeistert vom Krafttraining seines Sohnes. Die Idee vom Gleichgewicht von Körper und Geist war wie eine Religion für ihn. »Man muss das Ultimative aus dem Körper herausholen, aber auch aus dem Geist«, sagte er gern. »Lest Platon! Die Griechen haben die Olympischen Spiele begründet, uns aber auch große Philosophen geschenkt, und man muss sich mit beidem befassen.« Er erzählte uns von den griechischen Göttern, von der Schönheit des Körpers und der idealen Schönheit an sich. »Ich weiß, ein Teil geht zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus«, erklärte er. »Aber ich werde euch Burschen fordern, und eines Tages wird der Groschen fallen, und ihr werdet merken, wie wichtig das ist.«
    Für den Augenblick interessierte uns allerdings mehr, was wir von Kurt Marnul lernen konnten. Kurt war sehr charmant und unser großes Vorbild. Für uns war er perfekt, denn er war Mister Austria, er hatte den Körper und die Mädchen, hielt den Rekord beim Bankdrücken und fuhr ein Alfa-Romeo-Cabrio. Als ich ihn näher kannte, studierte ich genau sein Trainingsprogramm. Tagsüber verdiente er sein Geld als Vorarbeiter beim Straßenbau. Er fing früh an, hatte dafür aber schon um drei Uhr Feierabend. Dann ging er für drei Stunden ins Studio und trainierte. Wir durften ihn besuchen und bekamen dabei einen Eindruck von seinem Leben: Man arbeitet, man verdient Geld, kann sich dadurch ein Auto leisten, trainiert und gewinnt Meisterschaften. Es gab keine Abkürzung, man musste sich alles selbst erarbeiten. Marnul hatte eine Schwäche für schöne Mädchen. Er fand sie überall – im Restaurant, am See, auf dem Sportplatz. Manchmal lud er sie ein, auf seiner Baustelle vorbeizuschauen, wo er im Achselhemd die Arbeiter herumkommandierte und die Abläufe koordinierte. Aber natürlich blieb immer Zeit für ein Schwätzchen mit den Mädchen. Der Thalersee war ein fester Bestandteil seines Programms. Ein Durchschnittstyp würde ein Mädchen einfach nach der Arbeit auf ein Getränk einladen, doch Kurt war viel raffinierter. Er fuhr mit ihr in seinem Alfa an den See zum Baden. Dann aßen sie in einem Restaurant zu Abend, und er bestellte fleißig Rotwein. Im Auto hatte er stets eine Decke und eine weitere Flasche Rotwein dabei. Nach dem Essen gingen sie noch einmal zum See und suchten sich ein romantisches Plätzchen. Er breitete die Decke aus, öffnete den Wein und machte ihr Komplimente. Was für ein Schlawiner! Ihn in Aktion zu beobachten beschleunigte bei mir den Prozess, den mein Mathematiklehrer in Gang gesetzt hatte. Ich lernte Kurts Sprüche auswendig, ahmte seine Gesten nach und übernahm auch die Idee mit der Decke und dem Wein. Wir machten es alle so. Und die Mädchen gingen darauf ein!
    Kurt und die anderen sahen Potenzial in mir, weil ich innerhalb kurzer Zeit deutlich an Kraft und Muskelmasse zugelegt hatte. Am Ende des Sommers luden sie mich ein, bei ihnen in Graz mit Gewichten zu trainieren. Der Trainingsraum der Athletik Union Graz befand sich unter den Tribünen des Fußballstadions – ein großer Raum mit

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