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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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trainieren musste. Sonntags nach der Messe machten wir regelmäßig einen Ausflug. Wir besuchten ein anderes Dorf, sahen uns ein Theaterstück an oder einen Auftritt der Polizeikapelle. Abends mussten wir dann einen Erlebnisaufsatz schreiben, mindestens zehn Seiten. Mein Vater las ihn durch und gab uns unser Werk, übersät mit roten Korrekturen, zurück. Wenn wir ein Wort falsch geschrieben hatten, mussten wir es fünfzig Mal abschreiben.
    Ich liebte meinen Vater und eiferte ihm in allem nach. Ich weiß noch, dass ich als kleiner Junge einmal seine Uniform anzog und mich vor dem Spiegel auf einen Stuhl stellte. Die Jacke reichte mir fast bis zu den Füßen, und die Mütze rutschte mir über die Nase. Für unsere kindlichen Probleme hatte mein Vater allerdings keine Geduld. Wenn wir ein Fahrrad wollten, sagte er uns, dass wir dann eben das Geld dafür verdienen müssten. Ich hatte immer das Gefühl, seinen Ansprüchen nicht zu genügen, nicht stark oder klug genug zu sein. Er gab mir zu verstehen, dass man immer noch alles besser machen konnte.
    Viele Söhne wären von seinen Anforderungen erdrückt worden, doch auf mich färbte seine Disziplin ab. Seine Haltung war für mich ein steter Ansporn.
    Meinhard und ich standen uns sehr nah. Wir schliefen in einem Zimmer, bis ich achtzehn war und zum österreichischen Bundesheer ging. Ich hätte gar kein eigenes Zimmer gewollt. Bis heute fühle ich mich wohler, wenn ich vor dem Einschlafen noch mit jemandem reden kann.
    Wie so oft bei Brüdern waren wir auch Konkurrenten, immer bestrebt, den anderen auszustechen und in der Gunst unseres Vaters aufzusteigen, der selbst auch vom Wettkampfdenken geprägt war. Mit den Worten »Schauen wir mal, wer schneller ist« ließ er uns oft zum Wettlauf antreten. Wir waren größer als die meisten anderen Jungen, aber da ich ein Jahr jünger war als Meinhard, gewann im direkten Vergleich meist er.
    Ich hielt daher stets nach Gelegenheiten Ausschau, wo ich im Vorteil war. Meinhards wunder Punkt war seine Angst vor der Dunkelheit. Mit zehn schloss er die Volksschule in unserem Dorf ab und kam auf die weiterführende Schule nach Graz. Dafür musste er mit dem Bus fahren, doch bis zur Bushaltestelle brauchte man von unserem Haus zwanzig Minuten zu Fuß. Das Problem für Meinhard war, dass die Sonne an kurzen Wintertagen bei Schulschluss schon untergegangen war und er im Dunkeln nach Hause gehen musste. Er hatte so große Angst, dass er nicht allein laufen wollte, daher hatte ich die Aufgabe, ihn an der Bushaltestelle abzuholen und heimzubegleiten.
    Mir war der Wald bei Dunkelheit natürlich auch nicht ganz geheuer, schließlich war ich erst neun. In Thal gab es keine Straßenlaternen, und abends war es im Dorf stockdunkel. Die Straßen und Wege führten wie in den Märchen der Brüder Grimm durch dichte Nadelwälder, wo es selbst bei Tag finster war. Wir waren mit diesen schrecklichen Geschichten aufgewachsen, sie waren Teil unserer Kultur. Ich selbst würde sie meinen Kindern nie vorlesen. Es gab darin immer eine Hexe, einen Wolf oder ein anderes Ungeheuer, das nur darauf wartete, dem Kind etwas anzutun. Dass unser Vater Polizist war, verschlimmerte unsere Angst noch zusätzlich. Er nahm uns manchmal mit auf »Patrouille« und tat so, als wäre er einem Verbrecher oder Mörder auf der Spur. Wenn wir an eine freistehende Scheune auf einer Wiese kamen, ließ er uns warten, während er mit gezogener Waffe das Scheuneninnere kontrollierte. Gelegentlich machte auch die Nachricht die Runde, dass er und seine Leute einen Dieb gefasst hatten. Dann rannten wir zum Gendarmerieposten und bestaunten den Übeltäter, der mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt war.
    Der Weg zur Bushaltestelle verlief nicht einfach auf einer normalen Straße. Er wand sich an der Burgruine vorbei und am Waldrand entlang ins Tal. Als ich eines Abends unterwegs war und nervös zwischen den Bäumen Ausschau hielt, ob dort nicht etwas Unheimliches lauerte, tauchte wie aus dem Nichts ein Mann vor mir auf. Das Mondlicht war gerade hell genug, um seine Gestalt und seine beiden glänzenden Augen zu erkennen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und schrie auf. Wie sich herausstellte, war es nur ein Feldarbeiter aus dem Dorf, der in die andere Richtung unterwegs war, aber wenn er ein böser Riese gewesen wäre, hätte er mich auf jeden Fall erwischt.
    Vor den anderen verdrängte ich meine Angst, weil ich zeigen wollte, dass ich der Stärkere war. Mir war es extrem wichtig, meinen

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