Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
eines Tigers, und Kane wich vor der drohenden Waffe und dem Wahnsinn in den roten Augen zurück.
Der Engländer stand stumm da; eine Gänsehaut überzog seinen Körper, spürte er doch eine viel tiefer gehende, schrecklichere Bedrohung, als der Franzose sie dargestellt hatte. Etwas Unmenschliches ging von diesem Mann aus, der jetzt wie ein großes Tier aus dem Wald vor und zurück schwankte und jetzt wieder ein Lachen ausstieß, das ohne jegliche Heiterkeit war.
»Gaston, der Schlächter!«, schrie er und trat nach der Leiche zu seinen Füßen. »Ho! Ho! Mein schöner Brigant wird nicht mehr jagen! Ich hatte von diesem Narren gehört, der den Schwarzwald unsicher gemacht hat – Gold hat er sich gewünscht und den Tod gefunden! Jetzt soll Euer Gold mein sein, und mehr noch als Gold – Rache!«
»Ich bin nicht Euer Feind«, sagte Kane mit ruhiger Stimme.
»Alle Menschen sind meine Feinde! Seht – die Narben an meinen Handgelenken! Seht – die Narben an meinem Fußknöchel! Und tief unten an meinem Rücken – der Kuss der Knute! Und tief in meinem Gehirn die Wunden der Jahre in den kalten, stillen Kerkern in Karlsruhe, wo ich als Strafe für ein Verbrechen lag, das ich nie begangen habe!« Seine Stimme ging in ein groteskes, widerwärtiges Schluchzen über.
Kane antwortete nicht. Dies war nicht das erste Mal, dass er sich einem Mann gegenüber sah, dessen Gemüt in den Schrecken der furchtbaren Gefängnisse des Kontinents zerbrochen war.
»Aber ich bin entkommen!« Triumphierend schrie er das hinaus, »Und hier führe ich jetzt Krieg gegen alle Menschen … was war das?«
War das ein Aufflackern von Angst in jenen schrecklichen Augen?, überlegte Kane.
»Mein Hexer klappert mit seinen Knochen!«, flüsterte der Wirt und lachte dann wie irrsinnig. »Im Sterben hat er geschworen, seine Gebeine würden ein Netz des Todes für mich weben. Ich habe seine Leiche an den Boden angekettet, und jetzt höre ich tief in der Nacht, wie sein Skelett klappert und rasselt, während er versucht freizukommen, und ich lache, ich lache! Ho! Ho! Wie er sich danach sehnt, aufzustehen und, während ich schlafe, wie der alte König tot durch diese finsteren Gänge zu schreiten, um mich in meinem Bett zu erschlagen!«
Plötzlich flackerten seine wahnsinnigen Augen: »Ihr wart in jenem geheimen Zimmer, Ihr und dieser tote Narr! Hat er zu Euch gesprochen?«
Kane überfiel ein Schaudern. War das Irrsinn oder hörte er tatsächlich das schwache Klappern von Knochen, als ob das Skelett sich ein wenig bewegt hatte? Kane zuckte die Achseln; Ratten zupfen auch an staubigen Knochen.
Wieder lachte der Wirt. Er schob sich um Kane herum, hielt dabei stets die Waffe auf den Engländer gerichtet und öffnete mit seiner freien Hand die Tür. Drinnen herrschte völlige Dunkelheit, sodass Kane nicht einmal das Schimmern der Knochen auf dem Boden sehen konnte.
»Alle Menschen sind meine Feinde!«, murmelte der Wirt zusammenhanglos, wie jemand, aus dem die Verrücktheit spricht. »Weshalb sollte ich irgendeinen Menschen verschonen? Wer hat die Hand gehoben, um mir zu helfen, als ich jahrelang in den schmutzigen Kerkern von Karlsruhe saß – und das für eine Tat, die man mir nie bewiesen hat? Etwas ist mit meinem Gehirn passiert, und dann wurde ich wie ein Wolf – ein Bruder jener im Schwarzwald, zu denen ich geflohen war, als ich aus dem Gefängnis entkam.
Sie haben sich gütlich getan, meine Brüder, an allen, die in meiner Taverne waren – alle, mit Ausnahme dieses einen, der jetzt mit seinen Knochen klappert, dieser Zauberer aus Russland. Auf dass er nicht durch die schwarzen Schatten zurückkommt, wenn Nacht über der Welt liegt, und mich erschlägt – denn wer mag die Toten erschlagen? –, habe ich seine Knochen freigelegt und ihn angekettet. Sein Zauber war nicht mächtig genug, um ihn vor mir zu schützen, aber alle Menschen wissen, dass ein toter Zauberer noch böser ist als ein lebender. Bewegt Euch nicht, Engländer! Eure Knochen werde ich in diesem geheimen Zimmer lassen, neben diesen hier, damit …«
Der Wahnsinnige stand jetzt halb im Eingang zu dem geheimen Raum, seine Waffe bedrohte Kane immer noch. Plötzlich schien er nach rückwärts zu taumeln und verschwand in der Dunkelheit; und im gleichen Augenblick fegte ein verirrter Windhauch durch den Korridor draußen und schlug die Tür hinter ihm zu. Die Kerze an der Wand flackerte und verlosch. Kanes tastende Hände suchten den Boden ab, fanden eine Pistole. Er richtete
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